Gefaehrlicher Liebhaber - Jagd auf Jack the Ripper
schwebende Gabel beim Dinner. Den überraschten Ausdruck im Gesicht seiner Schwester und die Lippen seiner Mutter. So zusammengepresst, dass sie praktisch weiß waren.
Er hatte versucht, zu erläutern, warum er Polizist werden wolle, dass Chief Inspector Walker ihm bereits seine Unterstützung zugesagt hatte. Dass er in den zurückliegenden Wochen erste Erfahrungen im Polizeidienst habe sammeln können. All das. Doch sein Vater hatte lediglich das Besteck niedergelegt und gesagt: „Genug!“ Dann hatte er sich Beef nachlegen lassen und das Thema war für ihn gestorben. Der erste offizielle Arbeitstag bei der Metropolitan Police war zum Startpunkt zahlloser Auseinandersetzungen geworden, wobei er gestehen musste, dass er sich herzlich wenig Gedanken gemacht hatte, wer die Aufgaben seines Vaters eines Tages übernehmen solle, wenn er nicht zur Verfügung stand? Lizzy etwa? Dass diese einen Gutteil ihrer Zeit in einer Suppenküche zubrachte, wo sie kostenlose Mahlzeiten an Bedürftige ausgab, hatten die Eltern nach zähem Ringen gerade noch hingenommen. Was St. John aber tat, hatte massive Auswirkungen auf die Familie.
Irgendwo in den diffusen Teilen seines Verstandes hatte St. John sich irgendetwas zurechtgelegt, das eine Art parallele Arbeitswelt darstellte. Er wollte Dienst tun und nebenbei das lernen, was er möglicherweise eines fernen Tages doch würde tun müssen.
Durchgestanden war das alles keineswegs, denn jede noch so leise Erwähnung seiner Arbeit führte unweigerlich dazu, dass sein Vater lospolterte oder den Raum verließ.
„Nun, meine Lieben. Lassen wir vorerst Richard sein Steckenpferd. Noch besteht ja kein Grund zur Sorge. Nicht wahr?“, sagte seine Mutter und er schwieg um des lieben Friedens willen, wenn ihn auch der Begriff des Steckenpferds schmerzte.
Mit rauschenden Röcken erhob sich seine Mutter und begab sich in die Lobby, wo ihre Zofe mit ihrem Cape wartete. Und während der Butler sich um seinen Vater kümmerte, bewunderten Richard und Lizzy die Mutter. Groß gewachsen und schlank in einem Traum aus Faille, farblich passend zu ihrem Kleid. Der hoch aufgestellte Kragen aus gedrehten Fäden umrahmte ihr ovales Gesicht und brachte ihr Haar zum Funkeln. Lange Fäden und ummantelte Perlen liefen am Rücken abwärts und schenkten jeder ihrer Bewegungen eine zusätzliche Dynamik. Die Zofe reichte ihr ihren bestickten Beutel sowie einen langen Fächer, dann hielt man den Eltern die Tür auf und geleitete sie zur wartenden Kutsche.
St. John, der seine Mutter mit einem Kuss verabschiedet hatte, folgte seiner Schwester in den Salon zurück.
Lizzy warf sich auf die Couch und legte sehr undamenhaft ihre Beine über die Armlehne. Dabei betrachtete sie den Inhalt ihres Whisky-Glases, das sie zwischen ihren Händen drehte.
„Und was hast du heute noch vor?“, fragte er, um die Stille zu durchbrechen.
„Ich habe heute Abend noch Dienst in der Suppenküche.“
Als habe sie sich plötzlich entschlossen, ein anderes Thema anzusprechen, sah sie ihn direkt an.
„Sag mal … dieser Killer … Ist es wirklich so grausam, was er mit den Frauen anstellt?“
„Ich weiß keine Details“, log St. John mehr als stümperhaft und Lizzy rümpfte die Nase.
„Nonsens, mein Lieber. Also …“
Er schenkte sich ein Glas ein. „Ja. Ja, es ist grauenvoll, was er tut und ich kann nur beten, dass wir dieses Ungeheuer baldmöglichst fangen, damit diese armen Frauen …“
„… wieder in Ruhe anschaffen gehen können“, ergänzte Lizzy, was ihr einen scharfen Blick eintrug.
„Aber Richard. Du weißt so gut wie ich, dass – wer immer der Killer sein mag – er als erster geschafft hat, was keinem Sozialreformer zuvor gelungen ist, nämlich die Blicke des Landes auf das East End zu lenken. Auf einmal kommen so viele Leute zu uns und wollen helfen. Wir bekommen Geldspenden. Diener bringen Körbe voller Lebensmittel.“
Sie war so erregt, dass sie die Beine von der Couch schwang und sich nach vorne beugte.
„Zwei Straßen weiter wurde ein Heim für gefallene Mädchen eröffnet. Mit einer kleinen Schneiderwerkstatt. Alles aus Spendengeldern. Das hat der Killer geschafft!“
St. John starrte in sein Glas. “Wie krank ist diese Gesellschaft, wenn sie erst durch einen Mörder auf Missstände zu achten beginnt?“, murmelte er.
Elizabeth hatte sich an ihren kleinen Schreibtisch gesetzt und begonnen, in den Modemagazinen zu blättern, die ihre Mutter ihr hingelegt hatte. Wo sie sich normalerweise begierig
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