Gefaehrliches Verlangen
Aura der Trostlosigkeit und Resignation, wie damals, nach Mums Tod.
Bei der Erinnerung an diese schreckliche Zeit überkommt mich ein Anflug von Übelkeit – Dad, der ständig zu viel trank, sich gehen ließ und zutiefst deprimiert war. Das Haus, verwahrlost und chaotisch, und meine verzweifelten Versuche, Ordnung zu schaffen und die Familie zusammenzuhalten, während ich gegen diese gewaltige Lücke ankämpfte, die ihr Tod hinterlassen hatte.
Auch heute noch vergeht kaum ein Tag, an dem ich sie nicht vermisse und nicht an sie denke.
»Es ist alles in Ordnung, mein Schatz«, wiegelt Dad erschöpft ab. »Du hast mich nur geweckt, das ist alles.« Ein leises Klirren ertönt, als er über eine Bierflasche stolpert und Mühe hat, nicht der Länge nach hinzuschlagen.
»Nein, ist es nicht.« Ich knipse das Licht an, bereue es jedoch augenblicklich. Ich glaube nicht, dass ich das Haus jemals in so einem Zustand gesehen habe. Überall liegen benutzte Kleidungsstücke herum, auf der Arbeitsplatte türmen sich schmutzige Teller und Tassen, und über dem Mülleimer kreisen sogar Fliegen. Im Winter! Wer hat schon mitten im Winter Fliegen im Haus?
Auf dem Esstisch liegt eine leere Whiskeyflasche, und neben Dads Fernsehsessel reihen sich die Bierflaschen.
» O Dad.« Erst jetzt sehe ich, wie mitgenommen er aussieht – kreidebleich und müde, außerdem trägt er dasselbe Hemd und dieselbe Hose wie gestern Abend bei der Premiere.
»Hast du etwa in deinen Sachen geschlafen?«
»Ja.« Er kratzt sich am Kopf und sieht an sich hinunter. »Ich war zu müde, um mich noch auszuziehen. Es war … ein langer Tag.«
»Und wie es aussieht, gestern und vorgestern auch. Wo ist Genoveva?«
»Sie nimmt sich eine Auszeit.«
Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Dad, erzählst du es mir freiwillig, oder muss ich dich zwingen?«
Seufzend lässt er sich aufs Sofa fallen. »Genoveva hat mich verlassen«, gesteht er, nimmt eine leere Bierflasche und hebt sie an die Lippen. Erst nach ein paar Sekunden merkt er, dass sie leer ist, und lässt sie fallen.
Sie rollt auf mich zu. Ich bücke mich und hebe sie auf. »Ist Sammy auf dem Boden herumgekrabbelt?«
»Nein.« Dad reibt sich die Augen. »Ein Mädchen aus dem Dorf nimmt ihn für ein paar Stunden, während ich arbeite. Sie ist ganz nett. Und billig. Er scheint sich sehr wohl bei ihr zu fühlen. Und ihre Wohnung ist nicht so übel.«
»Nicht so übel?« Ich versuche, die Flasche in den überquellenden Mülleimer zu stopfen, gebe es jedoch auf und stelle sie stattdessen auf die klebrige Arbeitsplatte. »Hier herrscht ja das reinste Chaos. Du kannst Sammy nicht hier herumkrabbeln lassen. Weiß Genoveva, wie es hier aussieht?«
»Sie … geht nicht ans Telefon. Eigentlich rechne ich damit, dass sie jeden Moment auftaucht, aber sie ist schon über eine Woche …«
»Dad.« Ich trete um das Sofa herum und schlinge von hinten die Arme um ihn. »Wieso hast du denn nichts gesagt? Ich wäre doch hergekommen und hätte geholfen.«
»Das wäre nicht gegangen, Schatz. Du hast doch selbst so viel um die Ohren, mit der Premiere und alldem.«
Ich drücke ihn enger an mich. »Es tut mir so leid. Ich hätte dich anrufen müssen. Aber ich …« Wieder muss ich an die grauenhafte Woche nach dem Vorfall mit Giles Getty denken. »Na ja, es war ziemlich viel los, trotzdem hätte ich nicht nur an mich denken dürfen. Es tut mir leid. Ich habe schon gestern Abend gemerkt, dass etwas nicht stimmt, aber mir war nicht klar, dass es so schlimm ist. Du hättest doch etwas sagen können. Du weißt genau, wie sehr du mir am Herzen liegst … wie auch Sammy. Ich hätte doch sofort alles stehen und liegen lassen und wäre gekommen.«
Dad lächelt müde. »Genau deshalb habe ich nichts gesagt.«
»Aber was ist passiert? Habt ihr euch gestritten?«
»Gewissermaßen.« Seufzend hebt Dad eine andere Bierflasche auf und zupft am Etikett herum.
»Dad?«
»Sie … hat einen anderen.«
»Was?«
»Einen Arzt. Aus dem Dorf. Er ist verheiratet.«
»Du lieber Gott.«
Dad nickt. »Seine Frau tut mir so leid. Die beiden haben drei Kinder. Die Ärmsten.«
»Und wo ist Genoveva jetzt?«
»Keine Ahnung. Ich habe nur gehört, dass sie mit ihm in eines seiner Ferienhäuser gefahren ist. Ich hoffe, sie kommt zur Vernunft und kehrt zu uns zurück. Sammy braucht sie. Und ich auch.«
»Armer Sammy. Er muss völlig durcheinander sein.«
»Genauso wie ich.«
»Aber irgendwann wird es wieder besser.« Ich fange an,
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