Gefaehrliches Verlangen
bin ich nicht.«
»Was ist dann?«
»Es geht um Leo.«
Stille.
»Marc?«
»Ich bin hier.«
»Wir … Leo und ich haben uns geküsst.«
Wieder Stille.
»Aber es hat nichts bedeutet.« Die Worte sprudeln förmlich aus mir heraus. »Ehrlich nicht. Wir haben nur herumgeblödelt, er hat mich geküsst, und ich habe mich von ihm gelöst. Der Kuss hat mir rein gar nichts bedeutet. Ich vermisse dich nur so schrecklich, und deshalb war ich wohl ein bisschen durcheinander. Ich hätte ihn schon eher wegschieben sollen, aber … na ja, ich habe es eben nicht getan. Ich fühle mich schrecklich deswegen. Aber Marc, ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr.«
»Leo hat dich geküsst?«, fragt Marc ganz langsam.
»Ja. Und ich habe es zugelassen.«
Marc stößt einen tiefen Seufzer aus. »Ich verstehe das.«
»Wirklich?«
»Ja. In gewisser Weise war das sogar mein Plan. Als dein Vater vorgeschlagen hat, dass wir uns eine Weile nicht sehen, wollte ich, dass du Zeit mit Leo verbringst, damit du herausfindest, ob er nicht doch der Richtige für dich ist. Ob er der bessere Mann ist, der dir ein besseres Leben bieten kann, ohne die dunklen Seiten. Deshalb verstehe ich es. Und meine Liebe zu dir ist groß genug, dass ich dich gehen lasse.«
Ich schüttle heftig den Kopf. »Bitte, Marc … bitte. Hör mir doch zu. Ich liebe dich, nicht Leo. Ich empfinde nichts für ihn. Und das wusste ich auch schon vorher und ohne dass ich ihn dafür küssen musste. Verzeih mir, Marc, bitte. Ich liebe dich so sehr.«
»Ich verzeihe dir. Aber darum geht es nicht, sondern um die Frage, wer der richtige Mann für dich ist. Und es könnte Leo sein.«
»Nein, das ist er nicht. Bitte. Du bist der Richtige für mich. Das warst du schon immer und wirst es auch immer sein.«
Lange Zeit herrscht Stille.
»Du musst mir glauben. Bitte. Du bist der Mann, mit dem ich zusammen sein will.«
»Ich bin schon unterwegs zu dir.«
Meine Kehle wird eng. »Marc?«
Doch die Leitung ist tot.
Ich lege auf und wähle sofort noch einmal seine Nummer. Er hebt nach dem dritten Läuten ab – zwei Klingeltöne später als sonst.
»Marc …«
»Sophia, ich habe doch gesagt, ich komme zu dir. Mehr brauchst du für den Moment nicht zu wissen.«
»Marc, bitte mach nicht Schluss mit mir.«
»Sophia, beruhige dich doch. Ich bin gleich bei dir.« Seine Stimme ist sanft.
Wieder legt er auf, und ich starre auf das stumme Telefon.
Ich sitze auf der Bettkante und warte, ohne die Tür aus den Augen zu lassen. Bei jedem noch so kleinen Geräusch fahre ich vor Schreck zusammen. Nach einer halben Stunde klopft es.
Ich weiß, dass es Marc ist – nicht nur wegen der Schärfe des Klopfens, sondern auch, weil nur er sich so unbemerkt die Treppe heraufschleichen kann.
Ich stehe auf.
»Warte. Mach die Tür nicht auf«, sagt er.
Ich zögere. »Warten?«
»Ja.«
Ich höre ein Rascheln, dann sehe ich, wie er etwas Glattes, Dunkles unter der Tür hindurchschiebt.
Ich beuge mich vor.
»Was ist das?«
»Eine Augenbinde. Du musst sie dir umbinden.«
»Eine Augenbinde? Was soll das?«
»Wir haben eine Vereinbarung mit deinem Vater getroffen, dass du mich nicht sehen darfst. Und ich habe die Absicht, mich daran zu halten.«
»Oh.«
Ich hebe sie auf und spüre die glatte Seide zwischen meinen Fingern.
»Leg sie um, und dann mach die Tür auf.«
❧ 56
M it zitternden Händen lege ich mir die Augenbinde um und binde sie hinter meinem Kopf zu. Schlagartig herrscht tiefe Schwärze. Ich höre meine eigenen Atemzüge und spüre meine Wimpern an der Seide entlangstreifen, ansonsten ist nichts als Dunkelheit um mich herum.
Vorsichtig gehe ich zur Tür und taste nach dem Knauf, während ich mich frage, wie ich wohl aussehe – die Hände vorgestreckt, das Haar unter der Binde zerknautscht und wie eine Betrunkene umhertaumelnd.
Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich das Holz der Zimmertür unter meinen Fingerspitzen spüre.
»Marc?«, rufe ich und lege die Handfläche auf die Tür.
»Ich bin hier. Hast du die Binde um?«
»Ja.« Ich schiebe das Schloss zur Seite und drehe den Türknauf, dann trete ich einen Schritt zurück.
Einen Moment lang herrscht Stille. Kühle Luft schlägt mir entgegen. Dann höre ich das leise Geräusch von Marcs Ledersohlen auf dem Boden. Hände legen sich um meine Finger und führen mich zum Bett.
Nur mit Mühe kann ich mich davon abhalten, ihm um den Hals zu fallen. Ich will seine Arme spüren, die Wärme seiner Brust an meiner Wange, aber
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