Gefaehrten der Finsternis
Lyannen tastete suchend in seinem Ausschnitt. Der Sternenanhänger glänzte wieder eiskalt und silbern, gab einen bleichen Schein von sich, der nichts mit dem gleißend hellen Licht gemein hatte, dass ihm entströmt war, als er Ventels Name geschrien hatte.Verblüfft zuckte Lyannen zusammen. Die Innenfläche seiner rechten Hand war mit Blasen übersät, als hätte er ein Stück glühende Kohle gehalten. Als er darüberstrich, brannten sie. Sein Kopf schmerzte ebenfalls. Er ließ den Anhänger wieder in den Ausschnitt gleiten, dann schaute er sich um. Er lag im Zelt ausgestreckt auf einer Decke. Außer ihm war niemand dort, aber er konnte noch den ungesunden Gestank der Sümpfe riechen.
Auf ein Rascheln hin drehte er sich um. Jemand hatte den Zeltvorhang beiseitegeschoben.Validen erschien in dem Durchgang. Lyannen hätte gern mit ihm gesprochen und ihn um Erklärungen gebeten, aber sein Freund zog sich sofort zurück und ließ ihn wieder allein. Lyannen hörte ihn draußen fröhlich rufen.
»Er ist aufgewacht! Ventel, Lyannen ist aufgewacht und es geht ihm gut!«
Lyannen beschloss, dass er aufstehen konnte. Er schob den Zeltvorhang beiseite, ging hinaus und streckte sich in der Morgensonne. Die Augen von sechs Ewigen, einer Sterblichen und einem Ka-da-lun waren auf ihn gerichtet. Doch was er dann sah, schnürte ihm die Kehle zu.
Der Körper des Ungeheuers, das sie am Abend überfallen hatte, lag reglos zur Hälfte im Wasser, zur Hälfte auf dem Land, tot. Fliegen umschwirrten ihn. Man hatte Lyannen wohl das Zelt allein überlassen, denn draußen hatten sie schlecht und recht ein Lazarett eingerichtet. Dalman hatte die Lederbänder von Armen und Beinen entfernt, er hatte überall Blutergüsse und Hautabschürfungen. Wütend kaute er eines seiner Blätter, während Irdris seine Hände verband, die von einigen langen Schnitten gezeichnet waren. Ventel saß mit nacktem Oberkörper in einer Ecke und knabberte an einem Zwieback. Sein gesamter Brustkorb war verbunden, an der rechten Seite hatte er einen bläulich violett verfärbten Fleck und seine Lippen waren aufgesprungen.Lyannen erschauerte bei dem Gedanken, was dieses Untier mit seinen Freunden hätte anstellen können.
»Oh, Lyannen!«, rief Validen aus und wandte sich ihm zu. »Wie geht es dir? Anscheinend hast du uns heute Nacht alle gerettet. Deshalb möchte ich dir im Namen der Rebellen danken.«
»Bedank dich nicht bei mir«, gab Lyannen zurück. »Ich weiß nicht einmal, was ich getan habe. Obwohl es irgendetwas mit dem Anhänger zu tun haben muss, den mir mein Vater geschenkt hat, als ich klein war.« Er tastete dankbar nach dem Stern unter
seinem Hemd. »Aber was ist denn passiert? Und was war das für ein Ungeheuer? Sogar jetzt, wo es tot ist, kann es einem noch höllische Angst einjagen.«
»Allerdings«, sagte Dalman. »Als es da aus dem Wasser kam, wäre mir beinahe das Herz stehen geblieben. Nicht ohne Grund wird es Dämon der Teiche genannt, obwohl ihm der Name nicht wirklich gerecht wird. Es ist ganz bestimmt kein Dämon.« Er warf einen Blick auf das leblose Ungeheuer. »Andere treffendere Bezeichnungen lauten Aglaël, Wasserdrache. Die Drachen sind zwar ausgestorben, aber er ist ihr nächster noch existierender Verwandter. Leider ist er weit weniger intelligent als sie und viel wilder und grausamer.«
Lyannen betrachtete noch einen Moment den Wasserdrachen. Dann richteten sich seine Augen auf Ventel. Das, was das Ungeheuer bei einem so widerstandsfähigen Mann wie seinem Bruder hatte anrichten können, war ein Beweis für seine tatsächliche Kraft. Hatte wirklich er, Lyannen, ihn bezwungen?
»Was hat ihn getötet?«, fragte er leise, an Ventel gewandt.
Sein Bruder sah ihn an, seufzte und leckte sich über die Lippen. »Magie«, sagte er dann. »Ein äußerst mächtiger Zauber.«
»Magie«, wiederholte Lyannen halblaut. Er war verwirrt. Hatte er einen Zauber heraufbeschworen? Und wie? Seit Tausenden und Abertausenden von Jahren hatte es außer bei den Dämonen und den Feen niemanden mehr gegeben, der diese Gabe besaß. Die Ewigen hatten die Fähigkeit, Magie einzusetzen, nach dem dritten Krieg verloren, als man sie als zu gefährlich eingestuft und deshalb aufgegeben hatte. Aber selbst in vergangenen Zeiten hatten nur wenige über diese Gabe verfügt. Wie sollte ein Halbsterblicher wie er einen Zauber heraufbeschworen haben, ohne auch nur die geringste Vorstellung davon zu haben, wie man das machte?
»Das war unglaublich, weißt du«, sagte
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