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Gefahrliches Vermachtnis

Gefahrliches Vermachtnis

Titel: Gefahrliches Vermachtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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erhöhte Bühne für das Klub-Orchester. Nach ihrem Treffen am Nachmittaghatte er erfahren, dass Nicky Valentine eine begnadete Entertainerin war, die sich in Paris einen Namen gemacht hatte. Bevor sie nach Marokko gekommen war, hatte sie den feinen Geschmack der Franzosen schon sehr erfolgreich an den Flair des amerikanischen Swing gewöhnt. Er freute sich darauf, sich selbst ein Bild zu machen.
    Doch zuerst orderte er einen Drink und etwas zu essen. Er liebte die marokkanische Küche und bestellte sich, obwohl es auch französisches Essen gab, ein Tajin mit Rindfleisch. Der Kellner brachte die typische Tonschüssel mit dem konischen Deckel. Das Schmorfleisch war so zart und lecker, dass Hugh die Reste mit Brot aufstippte. Das Gericht erinnerte ihn an Gumbo und ließ ihn, wie schon vorhin, an seine Familie denken.
    Ferris war inzwischen zweiundzwanzig und in seinem zweiten Jahr des Jurastudiums. Hugh hatte auf Fotos gesehen, dass Ferris ein Mann geworden war. Die Briefe seiner Mutter, die tatsächlich bei ihm ankamen, waren lang und ausführlich, aber sie schrieb zu wenig über die Dinge, die Hugh wirklich interessierten. Er fragte sich, ob sie nun glücklich war. Während seiner Kindheit hatte er häufig das Gefühl gehabt, Aurores Ein und Alles zu sein. Sie hatten sich ohne Worte miteinander verstanden, dieselben Gefühle gehabt, dieselben Werte hochgehalten. Er fragte sich, ob er sie mit seiner Entscheidung, in Europa zu bleiben, sehr verletzt hatte.
    Obwohl er seinen Vater verachtete – eine Sünde, die er einmal in der Woche beichtete –, hätte er gerne erfahren, was sein Vater machte. Er hoffte, dass Henry inzwischen etwas zahmer geworden war und dass er seine Energie für etwas Sinnvolleres nutzte als früher.
    Während Hugh auf Nicky Valentine wartete, nippte er an seinem Pfefferminztee und beobachtete die Menschen an den Tischen ringsherum.
    Auf seine neue Aufgabe hatte man ihn so gut wie gar nicht vorbereitet. Einige seiner Kollegen waren direkt aus den heiligenHallen der Akademie in die Geschäftswelt gestoßen worden. Keiner von ihnen hatte je als Spion gearbeitet. Vermutlich arbeiteten sie und die Regierung gerade an einer Art Handbuch zum Thema.
    Einige der anderen Gäste des Palm Court kamen ihm bekannt vor. Es waren Beamte der deutschen und italienischen Kriegskommissionen. Andere waren Flüchtlinge oder gehörten zum französischen Militär oder der Polizei. Wieder andere waren, wie er, einfach nur hier, um Informationen zu sammeln.
    Das Palm Court war der ideale Ort dafür. Hier trafen sich Politiker mit ihren eifrigsten Sympathisanten. Männer, die sich liebend gerne gegenseitig die Kehlen aufgeschlitzt hätten, saßen hier einträchtig nebeneinander und tranken. Und ausnahmslos alle spitzten die Ohren. Jeder hoffte irgendetwas mitzukriegen – ein Gerücht, unbedacht geäußerte Worte, Stimmungen. Manche suchten auch nach etwas ganz Speziellem.
    Der Applaus setzte schon vor Nickys Auftritt ein. Hugh erkannte sie nicht sofort, weil sie kaum Ähnlichkeit mit dem Wesen besaß, das er am Nachmittag in einem marokkanischen Kaftan gesehen hatte. Jetzt trug sie ein scharlachrotes, eng anliegendes Paillettenkleid, das die Aufmerksamkeit aller Anwesenden – sicher nicht ganz zufällig, wie er vermutete – auf Brüste und Hüften lenkte. Ihr zurückgekämmtes Haar wurde von zwei Spangen gehalten. Strass, überlegte er, aber sicher war er sich nicht. Es hätten auch Diamantspangen sein können, das Geschenk eines reichen Verehrers.
    Nicky lehnte am Klavier, streckte sich geschmeidig. Und dann, mit einem Lächeln zum Pianisten, begann sie zu singen.
    Hugh war verzaubert. Nicky sang ein französisches Lied, das er trotz seiner Zeit in Marseille nicht kannte. Ihre Stimme klang fremd, aber wie schon das würzige marokkanische Essen und die seidige Atlantikluft erinnerte sie ihn an zu Hause. In Nickys Stimme lag ein Hauch New Orleans. Er vernahm das Flüstern der Basin Street mit ihren verrauchten Bars, die sinnliche Verderbtheit des French Quarters, die zerstörerische Kraft desMississippis. Er schloss seine Augen und ließ sich von einer Welle des Heimwehs übermannen.
    Er blieb die ganze Nacht. Nicky sang auf Französisch und Deutsch. Ihr Englisch klang nach dem Akzent ihrer Geburtsstadt. Ihm gefiel ihre Version des „Basin Street Blues“, und am besten gefiel ihm, dass sie den Song verführerisch lächelnd ihm gewidmet hatte.
    Zwischen den Auftritten setzte sie sich charmant zu jedem an den Tisch, der

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