Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
meine eigenen Erfahrungen machen!« Flehend zerrte ich an ihrem Arm. »Lehr- und Wanderjahre, Mutter! Dann liege ich euch auch nicht mehr auf der Tasche!«
    Die Mutter wandte sich ab und machte sich am Herd zu schaffen. Lauter als nötig klapperte sie mit dem Schweineeimer und begann, Kartoffeln zu schälen.
    »Samenhändlerin willst du werden?« Die Mutter zog verächtlich die Nase hoch. »Das ist mir ja ganz neu!«
    »Ich will im Haushalt helfen, die Frau kriegt ihr zweites Baby!« Seit ich Sieglindes Töchterchen im Arm gehalten hatte, war ich ganz verrückt vor Sehnsucht nach etwas so Kleinem, Niedlichem, für das ich sorgen und das ich gernhaben durfte.
    »Im Haushalt helfen kannst du mir!« Die Mutter knallte den Eimer auf den Fußboden.
    »Bitte, Mutter, lass mich doch mitgehen, das ist die Chance meines Lebens!«, stammelte ich mit Tränen in der Stimme.
    »Und zahlen tun die nix?« Mutter warf der Samenhändlerin einen giftigen Blick zu.
    »Nein, aber die Kleine kriegt was zu Essen. Was wollen Sie denn noch mehr?«
    »Und wenn es ihr dort nicht gefällt?« Die Mutter drehte sich zu uns um. Ich musste mir fest auf die Lippen beißen. Das war ja so etwas wie eine Zusage!
    »Sagen wir einfach mal drei Jahre. Dann ist sie sechzehn, dann kann sie weitersehen.« Damit war für die Samenhändlerin das Gespräch beendet. »Ich warte draußen im Auto. Fünf Minuten.«
    Sie bedankte sich für den Kaffee und warf mir noch einen Blick zu, der besagte, los, mach schon, ich habe auch nicht alle Zeit der Welt.
    In dem Moment kam der Vater von der Fabrik. Müde schlurfte er über den von Schlaglöchern und Kuhfladen übersäten Weg. Ich rannte ihm mit fliegenden Fahnen entgegen, in seinen Augen flackerte kurzfristig so etwas wie Freude auf. Als ich ihm jedoch gestenreich mein Anliegen vortrug, erlosch der Freudenschein wieder.
    Die Mutter redete auf ihn ein. Ich sei ja verrückt, undankbar, hätte eine Tracht Prügel verdient. Aber der Vater sagte müde: »Lass sie doch gehen! Sie wird schneller wiederkommen, als uns recht ist!«
    »Also ich darf?«
    Die Samenhändlerin drückte genervt auf ihre Hupe. Die Hühner flatterten aufgeregt gackernd durch die Pfützen, und Mäx schnupperte argwöhnisch an den Autoreifen.
    Der Vater warf resigniert die Hände in die Luft. »Bitte! Geh! Aber komm nicht wieder und beklage dich! Es ist deine Entscheidung! Wenn du gehen willst, geh.«
    »Bist du mir auch nicht böse, Vater?«, bettelte ich und hatte mein einziges Gepäckstück, ein blau-grün kariertes Sommermäntelchen, bereits unterm Arm.
    Der Vater würdigte mich keines Blickes mehr und schlüpfte durch die niedrige Tür ins Haus. Der Anblick seines gebeugten Rückens versetzte mir einen Stich ins Herz.
    »Und wer soll mir jetzt bei der Arbeit helfen?«, keifte die Mutter. »Wie kannst du ihr das erlauben, Gottlieb!«
    »Lass sie gehen«, hörte ich den Vater noch sagen. »Sie soll sehen, wie hart die Welt da draußen ist!«
    »Ja, viel härter als bei uns!«, schrie die Mutter mir nach und drohte mit der Suppenkelle. »Aber glaub ja nicht, dass du hier einfach so wieder auftauchen kannst wie die Sieglinde, wenn du unglücklich geworden bist! Ich werde dich genauso vor die Tür setzen. Dein Obdach hast du dir hiermit verscherzt!«
    Vom Vater sah ich nur noch den schlohweißen Haarkranz im Fenster. Er griff nach dem Suppenteller, so wie immer, und sah mir nicht nach, als ich im Sommer 1952 mit klopfendem Herzen zur Samenhändlerin ins Auto stieg.
    »Fröhliche Weihnachten, Gerti!«
    »Fröhliche Weihnachten, Jürgen!«
    Wir saßen ganz allein in der hintersten Ecke des nur spärlich beleuchteten Speisesaals. Nur der Christbaum im Eingangsbereich strahlte in voller Pracht. Wir hatten ihn selbst geschmückt, mit roten und goldenen Kugeln. Vor uns auf dem Tisch flackerten ein paar dicke rote Kerzen, die ich liebevoll mit Tannengrün verziert hatte.
    Ich hatte mich fein gemacht: mein rotes, eng anliegendes Kleid hatte ich selbst genäht. Heute Nachmittag hatte ich es noch etwas kürzer gemacht, nur klitzeklein, damit meine schlanken Beine besser zur Geltung kämen. Natürlich hatte ich gemerkt, dass Jürgen seine Augen nicht von mir lassen konnte, und ich wäre keine Frau gewesen, hätte ich meine Reize nicht betont. Ein ausladendes Dekolleté hatte ich schließlich nicht zu bieten.
    Wir hatten kleine Geschenke getauscht, und zu meiner unbändigen Freude hatte Jürgen mich mit einem kostbaren Seidentuch bedacht. Obwohl es farblich nicht

Weitere Kostenlose Bücher