Gefangene der Dunkelheit
angefühlt hatte. Sie war unheimlich zornig gewesen und hatte solche Angst vor dem gehabt, was er vielleicht vorhatte. Aber sein Kuss war sanft gewesen, fast zärtlich, und er hatte sie an sich gezogen, als sie sich wehrte. Sie hatte niemals bezweifelt, dass er sie hasste, selbst als er sie in die Arme nahm. Er hatte nie etwas anderes behauptet, hatte nicht versucht, ihr zu schmeicheln oder sie dazu zu verlocken, ihm bei der Flucht zu helfen, sondern hatte sie an sich gepresst und geküsst. Er hatte sie wunderschön genannt und ihren Namen ausgesprochen wie ein Gebet. Sie ließ ihren wachen Geist zum ersten Mal seit jenem Moment in törichten Fantasien schwelgen, ließ etwas von dem Wahnsinn zu, der ihre Träume heimsuchte. Sie stellte sich vor, wie es sich vielleicht angefühlt hätte, wirklich seine Geliebte zu sein. Etwas durchströmte sie warm und süß und ließ sie sich wieder trunken fühlen. Sie dachte daran, welche Kraft, welche Stärke er gezeigt hatte, als er sie festhielt, sowie an seinen überheblichen Zorn. Wie wäre es, einen solchen Mann zu besitzen und zu wissen, dass er ihr gehörte?
Sie begegnete ihrem Blick im Spiegel und höhnte, war von ihrer Torheit angewidert. Sie war eine Kriegerin, keine Frau, was auch immer Sean denken mochte. Sie würde Tristan und seine Küsse vergessen. Sie würde nicht wieder heiraten. Sie war eine Soldatin, und Sean würde das akzeptieren müssen.
Eine jähe Bewegung im Spiegel ließ sie zusammenzucken, während ihre Hand instinktiv an ihr Schwert sank, obwohl sie wusste, dass es eine der Dienstbotinnen des Schlosses sein musste, die gekommen war, um sie zu Bett zu bringen, als wäre sie noch ein Kind. »Geht«, befahl sie und wandte sich der Tür zu. »Lasst mich in Frieden.«
»In Frieden?« Die Stimme erklang aus den Schatten am Fenster und ließ ihr Blut gefrieren. »Warum solltest du Frieden haben?« Eine Gestalt trat aus den Schatten hervor, ein Mann wie ein Berg, und die Stimme sprach spöttisch und vertraut weiter. »Mörder gehören in die Hölle.«
»Tristan?« Ihre Zunge fühlte sich in ihrem Mund trocken an. Sie konnte den Namen kaum formen. Schließlich trat er ins Licht, und sie spürte, wie ihre Knie nachgaben. »Nein … du bist nicht hier.« Sie war noch immer trunken und sah Gespenster.
»Wo sollte ich sonst sein?« Sein Gesicht, das so zerschlagen und blutig gewesen war, als sie es zuletzt gesehen hatte, war wieder geheilt. Die Haut war blass, aber makellos. Die schmalen goldenen Strähnen in seinem dunkelbraunen Haar schimmerten im Mondlicht, und seine grünen Augen funkelten vor Groll. »Ist das hier nicht mein Schloss?« Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das, grausam und süß zugleich, ihre Erinnerung aufstörte. »Bist du nicht meine Ehefrau?«
»Du bist tot.« Er hatte keine Waffe, wie sie erkennen konnte, aber dennoch zitterte sie. Er ragte über ihr auf, seine Schultern waren doppelt so breit wie ihre, und er konnte mit seiner Handfläche ihre Faust umfassen. Sie konnte sich selbst jetzt noch voller Entsetzen und Erschrecken an das seltsame Gefühl erinnern, das sie empfunden hatte, als sich seine Hand über ihrer schloss. »Sie haben dich fortgebracht, Bruce und Callum. Du warst dem Tode nah.«
»Bist du dir sicher?«, verspottete Tristan sie und trat näher heran. Dies war der Moment, von dem er im Fieber geträumt hatte, der Moment, in dem er Siobhan schließlich töten würde. Er hatte geplant, sie sein Gesicht sehen zu lassen und sie nur einen Moment zu ängstigen und zu quälen, bevor er ihr den Hals umdrehte oder sie ausbluten ließ. Auch wenn er ihren Bruder am Leben gelassen hatte, hatte es für ihn keinen Zweifel gegeben, dass er sie töten würde, sobald er sie sähe. Aber nun, wo er endlich hier war, genügte ein Moment einfach nicht. »Sind deine Freunde jemals zurückgekehrt?« Ihre großen, blauen Augen waren vor Angst geweitet, aber sie wandte den Blick nicht ab. Jede andere Frau, die mit dem Ehemann konfrontiert worden wäre, bei dessen Ermordung sie geholfen hatte, hätte den Anstand besessen zu schreien oder ohnmächtig zu werden, aber nicht dieses wunderschöne Ungetüm. Sie wurde vielleicht blass und zitterte, aber ihre Hand lag an ihrem Schwert. »Jene Männer, die du geschickt hast, um dein Verbrechen zu verschleiern – wo sind sie jetzt?« Sie zog mit scharfem, metallischem Laut und Trotz in den Augen ihr Schwert, und er lächelte. »Soll ich es dir sagen, Liebste?« Er trat einen weiteren Schritt
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