Gefangene der Dunkelheit
purpurfarbenen Narbe verheilen konnte. Wenn es stimmte, was die Dienstboten ihr gestanden hatten, würde sie höchstens noch eine oder zwei Nächte leben. Es sei denn, sie tötete ihn zuerst.
Sie schüttete die Prise pechschwarzen Pulvers in den Zinnkrug und stellte ihn gerade wieder auf das Tablett, als sie Schritte den Gang heraufkommen hörte. »Guten Abend, Mylord«, sagte sie und versank in einen Hofknicks, als er mit zwei Wachen im Gefolge hereinkam. Er sah kaum in ihre Richtung, während er zu seinem Stuhl ging.
»Bring mir meine Briefe«, befahl er einem seiner Diener schroff, während sich der andere vor ihn hinkniete, um seine Stiefel aufzubinden.
»Wollt Ihr etwas trinken, Mylord?«, fragte sie und goss den Wein ein. Einer der Wächter hieß John. Er hatte versprochen, ihr zu helfen, hatte die Mitteilung von ihrer Tante überbracht, die das Gift enthielt, und hatte versprochen, sie fortzubringen, sobald der Baron bewusstlos wäre – bevor sein Leichnam gefunden würde. Sieh ihn nicht an, befahl sie sich insgeheim, als sie dem Baron den Becher brachte. Schau nicht zu John. Sie zwang sich zu lächeln, während sie sich tief vor ihrem Liebhaber verneigte und ihm den Becher anbot.
»Was ist das?«, murrte Callard, während er ihn entgegennahm, aber sie antwortete nicht. Sie hatte einmal den Fehler begangen, ihn zu reizen, indem sie ihm auf eine solche Frage eine kecke Erwiderung gab. Als sie drei Tage später wieder zu sich gekommen war, hatte sie gelernt, den Mund zu halten. Er nahm einen Schluck, nickte und erlaubte ihr damit aufzustehen. Sie zitterte, da die Freiheit so nahe war, dass sie sie schmecken konnte. Er nahm einen weiteren großen Schluck, während er seine Aufmerksamkeit den Briefen zuwandte, und sie riskierte einen Blick zu John. Er sah totenbleich aus, aber in seinen Augen war der Triumph erkennbar.
»Möchtet Ihr, dass ich für Euch singe, Mylord?«, fragte sie.
»Ich möchte, dass du den Mund hältst«, antwortete Callard und klang bereits betrunken. Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, und sie musste sich so fest auf die Wange beißen, dass sie Blut schmeckte, um nicht zu lächeln. Das Gift tat seine Wirkung, genauso wie ihre Tante es versprochen hatte. »Lasst mich allein«, befahl er. »Ihr alle – hinaus!«
»Darf ich nicht bleiben?«, fragte sie. Sie wollte ihn sterben sehen. Sie musste sicher sein. »Ich werde still sein …«
»Geh!« Er erhob sich, leicht schwankend, aber kräftig genug, um sie mit dem Handrücken zu schlagen, sodass sie zu Boden fiel. Sie kauerte sich auf dem Boden zusammen und sah Sterne. »Haltet diese Kreatur von mir fern, bis ich sie rufe«, befahl er den Wachen und setzte sich wieder hin. Lilith wollte aufstehen, aber er trat sie erneut zu Boden. Sie kroch mit vor Scham geröteten Wangen zur Tür, und die Wachen folgten ihr. Das letzte Mal, versprach sie sich. Dies ist das letzte Mal.
Sobald die Tür sicher hinter ihnen geschlossen war, schickte John die anderen Wachen fort. »Ich kann hier aufpassen«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf Lilith. »Er wird sie heute Abend nicht mehr zurückrufen.«
»Nein«, stimmte ihm der zweite Wachsoldat zu. »Ich bin nicht weit weg, falls du mich brauchst.«
Sie warteten über eine Stunde schweigend. John stand an der Tür Wache, während Lilith in der Ecke auf dem Boden saß und beide so taten, als wäre der andere nicht da. Sie durften sich nicht verraten, nicht bis sie sicher waren, dass er nicht mehr lebte. Einmal hörten sie einen leisen Aufschlag, als hätte Callard etwas fallen lassen, und beide spannten sich an, wobei sich Lilith halb von ihrem Platz erhob. Aber sie warteten immer noch.
»Geh«, sagte sie schließlich. »Geh und sieh nach.«
John riss die Augen weit auf, obwohl er ein tapferer Soldat war. »Ich?«
»Mich wird er töten«, erklärte Lilith.
Die äußere Tür öffnete sich, bevor er antworten konnte. »Wer ist da?«, fragte John und hob seine Pike an.
Anthony, der Kutscher, von dem vermutet worden war, dass er mit seinen Wachsoldaten im Wald ermordet worden war, trat ein. Seine Livree war zerrissen und von Blut und Schmutz befleckt. Ein dickes, zusammengerolltes Tuch, das aus seinem Umhang gemacht zu sein schien, lag durchtränkt um seinen Hals. »Ich muss den Baron sprechen«, sagte er.
»Um Gottes willen, Mann«, fluchte John erschreckt. »Was ist mit Euch geschehen?«
Der Kutscher lächelte, ein breites, fröhliches Lächeln, das ihm auf gespenstische Weise
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