Gefangene der Dunkelheit
wollte sie davonlaufen, aber er packte sie an den Schultern. »Du bist meine Frau.«
»Wie kann ein Toter eine Frau haben?«, höhnte sie und verspottete ihn wie immer, aber dieses Mal schüttelte er sie, sodass sie aufschrie.
»Sag mir die Wahrheit«, drängte er, nicht mit dem verführerischen Dämonensäuseln, das sie in der Nacht zuvor so vollständig verzaubert hatte, sondern mit der rauen, tiefen Stimme eines rechtschaffenen Menschen, der betrogen wurde. »Sag mir, dass du die Männer getötet hast, die dieses Schloss erbauten, arglose Arbeiter, die weder dir noch sonst jemandem jemals ein Leid zugefügt haben.«
»Was?« Er hatte ihr in der Nacht zuvor zugelächelt, sie geneckt, sie geliebt – warum war er jetzt so zornig? »Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Das habe ich nicht getan … wirklich nicht. Ich dachte nicht …«
»Warum überrascht mich das nicht?«, fragte er und verspottete sie so erneut.
»Das war vor Monaten«, protestierte sie. »Ich sagte Sam, es sei für uns leichter, dich zu veranlassen, nach Frankreich zurückzugehen, wenn dein Schloss nicht fertiggestellt werden könne, und er …« Ihre Stimme erstarb, während sie zu ihm hochsah. »Du hast ihn getötet.«
Die Anklage in ihren Augen war mehr, als Tristan ertragen konnte – wie konnte sie es wagen, ihn zu beschuldigen? Wer, in Gottes Namen, war Sam? »Du hast befohlen, jene Männer zu töten«, sagte er erschüttert.
»Ich habe niemals etwas befohlen«, beharrte sie. »Ich habe nicht die Macht, Befehle zu erteilen – siehst du nicht, wo ich jetzt bin? Eine Gefangene!« Sie konnte nicht denken, nicht, wenn er sie so ansah. Emma und Clare konnten jeden Moment zurückkehren. Sie musste rasch handeln. Aber was sollte sie tun? »Ich habe zwar nicht um jene Männer getrauert, aber ich habe sie auch nicht getötet. Ich hätte es getan, aber … Tristan, warum bist du überrascht? Du wusstest, was ich war. Ich habe dir nie etwas vorgemacht …«
»Ja, Lady, ich wusste es«, sagte er mit bitterem Lachen. »Ich wusste es vom ersten Moment an, als ich dich sah, du widernatürliches kleines Biest, wie du Pfeile auf meine Männer abgeschossen hast.« Ein völlig anderer Zorn als das Verlangen nach Rache, das er auf seinem Weg nach Hause empfunden hatte, machte ihn benommen. »Ich hätte dich töten sollen …«
»Du hast es versucht, aber du hast mich verfehlt«, erwiderte sie.
»Dann hast du ein unschuldiges Kind als Geisel genommen«, fuhr er fort, und seine Stimme klang vor Abscheu erstickt. »Sage mir, Siobhan – erinnert sich Clare daran, dass du ihr die Kehle durchschneiden wolltest?«
»Ich hätte es niemals getan«, sagte sie verärgert und sagte damit, ohne nachzudenken, die Wahrheit. »Ich habe zu Gott gebetet, dass du es nicht darauf ankommen lassen würdest …«
»Als hätte ich das Leben meines Kindes riskiert …«
»Wie sollte ich das wissen?«, fragte sie. »Ich kannte dich nicht! Du warst ein Fremder, der Normanne, der die Leute meines Vaters versklavte – du hattest gerade den besten Freund meines Bruders getötet …«
»Der gerade mich zu töten versucht hatte, wenn ich mich recht erinnere«, erwiderte er sarkastisch.
»Du wolltest Sean töten, und ich konnte nicht …« Ein schmerzlicher Kloß stieg ihr in die Kehle. Er war aus all dem Kummer, den sie so lange zurückgehalten hatte, dass sie kaum noch darüber nachdachte. Sie wusste kaum, was sie nun sagte oder auch dachte. Die Worte drangen einfach hervor. »Ich konnte nicht zulassen, dass du ihn töten würdest, Tristan. Ich kann nicht … er ist alles, was ich noch habe, und er liebt mich.« Tränen blendeten sie. Als er sie an den Schultern hielt, verschwamm seine Brust vor ihren Augen, und hätte er sie nicht festgehalten, wäre sie vielleicht zu Boden gesunken. »Sie haben Papa wie einen Hund getötet, haben ihm direkt vor unserem Haus den Kopf abgeschlagen, während Mama und ich zusahen«, sagte sie und schluckte wie das schwache Mädchen, das sie sich geschworen hatte, niemals wieder zu sein. »Normannische Soldaten … wir waren Adlige. Der König hatte Papa zum Ritter geschlagen. Sean war ein Ritter …« Das Gesicht ihres Vampir-Ehemannes hatte sich verändert. Sie sah Mitgefühl in seinen warmen, grünen Augen, und Schmerz packte ihr Herz wie eine unerbittliche Faust. »Sie haben meine Mutter vergewaltigt, Tristan, sie alle, immer wieder, weil sie eine Frau war, und sie konnte sich nicht einmal wehren. Ich konnte mich nicht wehren
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