Gefangene der Sehnsucht
weiß. Warum versucht Ihr es nicht damit, mir zu sagen, wer Euch geschickt hat?«
Sie schloss die Augen, hoffentlich, um sich seiner Aufforderung zu fügen, dann schlug sie sie wieder auf. Für einen kurzen Moment sah er, wie das Grün der Bäume sich in den grauen Tiefen spiegelte.
»Niemand hat mich geschickt. Wie ich bereits gesagt habe, ist Father Peter ein Freund. Ich habe eine Zeit lang in einem adligen Haushalt als Kindermädchen gedient. Der Vater war … tot.« Sie stolperte leicht über das Wort. »Mouldin kam wegen der Erben. Meine Dienste wurden nicht länger gebraucht. Vielleicht war ich auch nicht so gut darin. Auf jeden Fall ging ich fort. Mit Roger.«
»Und Eure eigenen Eltern?«
Diese Frage baute für einige Herzschläge einen massiven Damm gegen den Informationsfluss auf. Jamie zählte sie. »Wir haben keine Eltern. Wir verloren sie, als wir noch sehr jung waren.«
Er zeigte keine Reaktion, dessen war er sich sicher. Ein Jahrzehnt im Dienst des Königs, und man war darin geübt, nicht mehr zu enthüllen, als ein Spiegel es täte: den eigenen Anblick. Aber bei sich dachte er: Sie war eine Waise. Genau wie ich.
Die Sonne ging unter. Die erste Dämmerlicht würde bald am Horizont erscheinen, denn die Frühlingsnebel begannen, aus der feuchten Erde aufzusteigen.
»Nun denn«, sagte er langsam. »Ihr seid also hier wegen einer Herzensschuld. Und diese Sache mit Father Peter hat mit Dokumenten und Verträgen zu tun. Mit mehr nicht.«
Betrübt erwiderte sie seinen Blick. »Ich weiß nicht um alle Dinge, die in Father Peter vorgehen. Aber ich weiß, dass er ein Freund ist. Er hat mir das Leben gerettet, und wenn es in meiner Macht steht, werde ich seines retten.«
Was absurd war. Diese spatzendürre Elfe wollte rachedurstigen Königen, sich einander befehdenden Baronen und Jamie in die Parade fahren, der so viele Geheimnisse hütete, der so viele Intrigen angezettelt hatte und der so viele Arten zu töten kannte, dass er niemals durch die Himmelspforte passen würde, und sie wollte Father Peter retten? Allen anderen trotzen?
Und doch … hatte sie genau das getan. Sie hatte ihn überlistet. Ja, sie war mit Stricken gefesselt und rang nach Atem, aber da war irgendetwas an ihr. Etwas Entschlossenes. Unbeirrbares.
Etwas Resolutes, berichtigte er sich ironisch, während er ihren Blick erwiderte. Sie hatte Angst, aber sie zauderte nicht. Sie besaß Stärke. Wie Wind oder Wasser oder Luft. Wie ein Sturm über dem Meer oder die sengende Sonne über den Wüsten Palästinas.
Unbeugsam.
Vielleicht war das Staunen darüber, diese machtvollen Elemente in dieser kleinen, von einem glühenden Feuer erfüllten Person zu finden, der Grund, dass er sie nicht weiter mit Fragen bedrängte. Warum er mit dem Gedanken spielte, sich vorzubeugen und mit den Lippen ihren gebeugten Hals zu berühren.
Vielleicht war es aber auch das laute Krachen eines Astes unter dem Stiefel von jemandem. Jamie fuhr herum. Ry stand dort.
»Wo zum Teufel ist Roger?«, fragte Jamie scharf.
»Angebunden an einen Baum, verdammt noch mal.«
Jamie ließ von ihr ab. Der Griff seines Schwertes schlug gegen seinen Ellbogen, als er sich umdrehte. Er trug verschiedene Klingen an seinem Körper, und er trug ein Kettenhemd, das ihn selbst gegen den tödlichsten Pfeil schützte.
Eva trug ein blaues Kleid.
Einige der kleinen weißen Blüten hatten sich in ihrem Haar verfangen. Sie glitten inmitten des Vorhangs aus dunklen Locken, die ihr bis auf die Hüften fielen, und sahen aus wie kleine leuchtende Kerzen auf einem dunklen Fluss.
Wie würde es sich anfühlen, wenn er mit den Fingern hindurchfuhr?
Jamie spürte ein kleines, seltsames Stechen in seiner Brust. Er schüttelte es ab und wandte sich Ry zu, der mit verschränkten Armen dastand und ihn abwartend ansah.
Zarte Nebelschwaden begannen, sich im Flusstal zu formen und aufzusteigen. Zwanzig Jahre Freundschaft bedeuteten, dass Ry zwanzig Jahre lang einem Chaos ausgesetzt gewesen war, ausgelöst von einer Überfülle wilder, harter Entscheidungen Jamies.
Kämpfe der erbitterten Art auf den Straßen Londons mit acht Jahren, danach das Humpeln zu Rys Haus im jüdischen Viertel, wo die Mutter seines Retters ihn mit scheltender Liebe und stechenden Tinkturen, von denen kaum je eine geholfen hatte, wieder zusammenflickte. Intrigen der frühreifen Sorte im Alter von zwölf, die Barone und Pferde und Botschaften einschlossen und die schiefgingen; Anwerbung mit dreizehn, wenngleich eine
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