Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
bar jeglichen Lichts des Sonnensterns, des Oceanus’ oder der Sterne. Den Kopf auf Irrylaths Brust geschmiegt, schlief sie ein.
Ganz allmählich kehrte ihr Bewusstsein zurück. Sie war nicht länger von Wasser umgeben, spürte nicht länger den Sog. Sie bewegten sich nicht. Zerschrammt und tropfnass lag sie auf festem, stabilem Untergrund, auch wenn dieser durchweicht war. Ihre Kleidung triefte, und ein Teil ihres Haares wehte im Wasser. Jemand rief sie beim Namen.
Sie schlug die Lider auf, ohne viel Hoffnung, etwas zu sehen.
Ihre Augen schmerzten vor Kälte. Da traf etwas ihre Pupille, ein heißer, brennender Tropfen. Ein weiterer fiel auf ihre Braue, floss wie beißendes Salz in ihr anderes Auge. Sie zuckte vor Schmerz, blinzelte und gewahrte Sterne über sich, ein funkelndes Meer. Jemand beugte sich herab.
»Aeriel, Aeriel«, sagte er.
Stöhnend bewegte sie sich und erkannte, wie steif sie war. Der Perlenstaub in ihrem Blut machte sie benommen.
»Irrylath«, murmelte sie, streckte die Hand nach ihm aus. »Ich bin ertrunken, und du bist meinetwegen gekommen.«
Für ihre Rettung musste er von Avarclons Rücken gesprungen sein. Da erinnerte sie sich wieder an ihren Traum: Irrylath, der von weit oben kopfüber durch die Lüfte in die aufgewühlten Fluten stürzte. Das Sternenpferd hatte ihn in Sicherheit bringen, ihn fortragen wollen, doch er hatte sich geweigert, ohne sie gerettet zu werden, und war ihr stattdessen gefolgt. Nicht gefallen. Getaucht. Irrylath zog sie fest an sich.
»Oriencor ist tot«, flüsterte er. »Du hast sie getötet, und der Palast ist eingestürzt.«
Er schauderte. Seine Tränen liefen über Aeriels Wange und Stirn. Als sie die brennenden Tropfen aus ihren Augen blinzelte, erblickte sie Schlammbänke, die sich bis in weite Ferne erstreckten, schwarze Erde, so weit das Auge reichte. Das Wasser lag reglos da, ein kühler, dunstiger Rauch stieg in geisterhaften Wolken auf. Zerbrochene Möbel, Teppiche und Gegenstände lagen wie Strandgut um sie verstreut.
Ihr Hochzeitssari, gelb und gefeit gegen jedwede Nässe, lag zerknüllt in einem nahen Buschwerk. Der Nebel, immer noch
von farbenprächtigen Funken durchdrungen, waberte wirbelnd, verdeckte bisweilen den Horizont. Oceanus hing tief am Himmel, eingehüllt von einem feurigen Sternenkranz. Sonderbarerweise fühlte sich die Nacht nicht kalt an. Schließlich löste sich Irrylath von ihr.
»Nicht ich«, wiederholte er. »Nicht ich, sondern du hast sie getötet.«
Nie zuvor war sie ihm so nahe gewesen. Selbst im Sternenlicht sah sie die vier langen Narben, die eine Seite seines Gesichts bedeckten, und die fünfte, die genau unterhalb seines Kiefers verlief. Die Narben, die Pendarlon ihm zugefügt hatte, vor einer Ewigkeit – nein, erst vor zwei Jahren –, als er als unfertiger Engel der Nacht in Avaric wütete. Aeriel fuhr sie mit der Hand nach.
»In Winterasche«, sagte sie, »als der Palast noch stand, ließ mich die Perle einen kurzen Blick auf das Gräuel erhaschen, das die Weiße Hexe dir antat.«
Sie sah, wie er zusammenzuckte, spürte das Entsetzen, das ihn packte. Er starrte sie an. »Ich dachte, du wüsstest es von jeher«, flüsterte er. »Ich dachte, deinen grünen Augen entginge nichts.«
Sie schüttelte den Kopf. War das der Grund, weshalb er sich zurückgezogen – nicht sie gemieden hatte, sondern ihr Wissen?
»Deshalb glaubte ich, Sabr zu begehren«, sagte er, »weil sie nichts von all dem weiß, und selbst, wenn sie es jemals herausfände, würde sie es nicht glauben. Sie würde darauf bestehen, ich sei mutig.«
»Du warst mutig«, sagte Aeriel. Sie erinnerte sich, wie er die Schlacht von Avarclons Rücken angeführt, zu Sabrs Rettung herabgetaucht, seinem eigenen Engel der Nacht und denen seiner
Brüder getrotzt hatte. »Du bist der mutigste Mensch, den ich kenne.«
Irrylath schüttelte den Kopf. »Nein. Das bin ich nicht. Oriencor hat jede meiner Schwächen aufgespürt. Letztlich hat sie meinen Willen gebrochen und ein Spielzeug aus mir gemacht.«
»Und du dachtest, ich hätte dasselbe vor?«, grübelte Aeriel betroffen und erschüttert über ihre eigene Torheit. Blind! Bis zu diesem Moment war sie blind gewesen. »Also ließest du dich auf Sabr ein, die dich verehrt … Auf der sehnsüchtigen Suche nach jemandem, der um deine Vergangenheit nicht weiß, wolltest du dieser schmerzhaften Erinnerung entfliehen.«
Der Prinz biss die Kiefer fest zusammen und nickte bedächtig. Mit den Gedanken schien er bei der Hexe
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