Gefangene des Feuers
aber sie hatte nichts dergleichen entdecken können. Rafe fachte ein Feuer an, und Annie gab die Aufgabe gestikulierend an Jacali weiter. Die alte Indianerin machte ein Zeichen, dass sie verstanden hatte.
„Und was jetzt?“, fragte Rafe.
Müde rieb sie sich über die Stirn. „Ich muss einen Hustensirup zubereiten, damit die Lungenstauung aufgelöst wird. Ich glaube, einige haben schon eine Lungenentzündung. Und sie müssen mit kaltem Wasser abgewaschen werden, damit das Fieber heruntergeht.“
Rafe zog sie an sich und hielt sie für einen langen Augenblick fest. Er wünschte, sie könnte ein wenig ausruhen, aber er wusste, dass sie beide noch viel erschöpfter sein würden, ehe die Krise vorbei war. Er gab ihr einen Kuss aufs Haar. „Ich wasche sie, während du die Hustenmedizin zubereitest.“
Rafe hatte eine gewaltige Aufgabe vor sich. Nach seiner Schätzung waren es etwa siebzig Indianer, von denen nur drei gesund waren, besser gesagt vier, wenn er das kleine Mädchen mit den Flaumhaaren dazurechnete. Rafe ging von einem zum anderen, Menschen jeden Alters waren darunter, und selbst die Stärksten waren genauso von der Krankheit betroffen wie die Schwachen. Er zog muskulöse Krieger bis auf deren Lendenschurz aus, wobei er einige bändigen musste, ehe er ihnen mit kaltem Wasser Linderung verschaffte. Da er wusste, dass die Anstandsregeln der Apachen genauso streng, wenn auch manchmal ein wenig anders als die der Weißen waren, achtete er peinlich darauf, die Frauen nicht mehr als unbedingt notwendig zu entblößen. Er zog nur ein wenig ihre Kleider hoch, damit er ihnen Beine und Arme abwaschen konnte.
Bei den Kindern war es zwar am einfachsten, aber sie hatten auch die größte Angst. Manche weinten, als er sie berührte. Er ging sehr sanft mit ihnen um, als er ihnen die Sachen auszog. Einen völlig verschreckten Vierjährigen setzte er auf seinen Schoß, während er die kräftigen kleinen Gliedmaßen kühlte. Doch der Junge konnte nicht aufhören zu weinen. Also drückte Rafe ihn an sich und sprach leise und beruhigend auf ihn ein, bis das Kind in einen unruhigen Schlaf fiel. Danach trug Rafe die tote Mutter des kleinen Jungen hinaus; sie war in der kurzen Zeit gestorben, als Annie den Tee verteilt hatte. Die alte Jacali brach in Wehklagen aus, als sie Rafes in Decken eingewickelte Last sah, während die beiden Jungen davonrannten und sich versteckten. Aber am schwersten traf ihn die Trauer, die in Annies Augen stand.
Rafe wusste zwar, dass Apachen nicht mehr in einem Wickiup leben würden, wenn dort jemand gestorben war, mit den Totenbräuchen kannte er sich jedoch nicht aus. Aber er konnte die Kranken ja nicht ständig von einer Grashütte zur nächsten tragen, wenn wieder ein Mensch gestorben war. Schließlich entschied er sich, diese Aufgabe Jacali zu überlassen, denn sie würde, soweit sie allein dazu in der Lage war, den Bräuchen am ehesten Genüge tun.
Es war eine schier endlose Aufgabe, das Fieber zu kühlen. Wenn jemand eingenickt war, konnte er ihn erst einmal sich selbst überlassen. Aber diejenigen, die unruhig waren oder deren Fieber so hoch war, dass sie das Bewusstsein verloren hatten, mussten ständig mit kaltem Wasser abgewaschen werden. Die drei Indianer, die versuchten, Jacali zu helfen, litten wohl erst an den Anfangssymptomen der Krankheit. Aber sobald es Abend war, würden sie genauso krank sein wie die anderen.
Annie ging von einem Patienten zum nächsten und verteilte Hustensirup aus Andorn-Blättern an die Kranken, deren Lungen nicht frei klangen. Den anderen, die zwar husteten, aber deren Lungen nicht beeinträchtigt waren, gab sie eine Mischung aus Gottesgnadenkraut und Honig.
So ging es die ganze Nacht weiter. Annie wagte nicht, zu schlafen, vor lauter Angst, einer ihrer Patienten könnte Fieberkrämpfe bekommen. Sie brühte noch mehr Weidenrindentee auf und überredete die Kranken, ihn zu trinken. Manche waren sehr unruhig, andere wehrten sich oder waren kaum noch bei Bewusstsein. Einige kleinere Kinder weinten die ganze Nacht, und es schnitt ihr ins Herz, wie sehr sie leiden mussten. Sie wusch die Kranken, deren Ausschlag zu jucken schien, mit Apfelessig ab. Das Baby weinte jedes Mal herzzerreißend, wenn es hungrig oder nass war oder wenn es Angst hatte. Seine Mutter versuchte zwar ein paarmal, auf ihr Baby einzugehen, wenn es schrie, aber sie war zu schwach.
Als der Morgen dämmerte, waren weitere fünf Menschen gestorben.
Doch Annie machte beharrlich wieder die
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