Gefangene des Feuers
Selbst wenn sie nur einen Menschen retten konnte, würde dieser Mensch sie mit dem Tod von Trahern aussöhnen.
Annie konnte nur hoffen, dass ihr Vorrat an Weidenrinde ausreichen würde. Sie holte Wasser und setzte es zum Kochen auf, während sie schon ihre nächsten Schritte überlegte. Sie würde den Tee schwächer machen; zumindest würde sie damit das Fieber senken, wenn es auch nicht ganz verschwinden würde. Aber auf diese Weise würde ihr Vorrat länger halten. Sicher wussten die Indianer auch, welche Pflanzen aus dieser Gegend das Fieber bekämpfen konnten, aber die Sprachbarriere hielt sie davon ab zu fragen.
Während der Tee zog, machte sie sich in den Grashütten auf die Suche nach Kräutern, die die Indianer normalerweise verwendeten. Vielleicht könnte sie ein paar davon brauchen. Rafe folgte ihr auf Schritt und Tritt, wachsam wie ein Wolf auf der Jagd.
Jetzt fing das Baby auch wieder an zu weinen. Vermutlich, weil es Hunger hatte. Annie ging zurück zu ihm und nahm es hoch. Offensichtlich hatte es mehr Angst als Hunger, denn es kuschelte sich wieder zufrieden in ihre Arme. Da sie es nicht ertragen konnte, das Kleine ständig weinen zu hören, nahm sie es mit. Das Kind war der Krankheit ohnehin schon lange genug ausgesetzt gewesen.
Sie fand ganze Bündel getrockneter Pflanzen, doch die meisten kannte sie nicht. Hätte sie doch mehr Zeit in dieser Gegend verbracht, dann wüsste sie, welche Heilkräfte in diesen Pflanzen steckten. Trotzdem nahm sie sie mit. Vielleicht könnte die alte Frau ihr irgendwie zu verstehen geben, wozu sie verwendet wurden.
Die beiden kleinen Jungen waren inzwischen aus ihrem Wickiup gekrochen und starrten sie und Rafe mit großen, angsterfüllten Augen an. Einer der Jungen trug einen Bogen, der so lang war wie er selbst, den er jedoch nicht benutzte. In dem Versuch, die beiden zu beruhigen, lächelte Annie sie an, als sie an ihnen vorbeieilte, aber sie senkten die Lider.
„Gib mir das Baby“, murmelte Rafe schließlich, als Annie mit der freien Hand versuchte, Honig und Zimt in den Tee zu rühren. Überrascht sah sie ihn an. Die Vorstellung, dass er das Baby in seinen starken Armen halten würde, schien grotesk. Trotzdem war sie froh, ihm das kleine Bündel übergeben zu können.
Doch das Baby fing erneut an zu schreien. Rafe stützte das flaumige kleine Köpfchen mit seiner großen Hand, während er das Baby an seine Brust hielt, doch es jammerte immer noch. Annie warf dem Kleinen einen besorgten Blick zu. „Ich hoffe, es wird nicht krank“, sagte sie. „Masern können sehr schlimm sein für so kleine Babys. Vielleicht hat es nur Hunger.“
Vermutlich schreit es nur, weil Annie es nicht mehr im Arm hat, dachte Rafe. Zweifellos war der Winzling auch hungrig, aber Annies Berührung hatte ihn trotzdem beruhigt. Er tauchte einen Finger in den Honigtopf und hielt ihn an den kleinen Mund. Das Baby quengelte noch eine Weile, dann bemerkte es offenbar den süßen Duft, umschloss seinen Finger und saugte gierig daran. Rafe zuckte zusammen, als zwei kleine scharfe Zähne sich in seine Finger bohrten. „Hey! Verdammt, du kleiner Kannibale, lass los!“
Nachdem der Honig abgeschleckt war, war sein Finger uninteressant, und das Baby begann erneut zu jammern. Also wollte Rafe seinen Finger wieder in den Honig tauchen, doch Annie hielt ihn zurück. „Mit Honig muss man bei Babys vor-
sichtig sein. Manchmal werden sie richtiggehend krank davon. Vielleicht stillt die Mutter noch. Willst du nicht mal zu ihr gehen und nachschauen? Wenn nicht, habe ich noch ein kleines Stück Brot vom Frühstück übrig. Weich es in Wasser ein und gib dem Baby immer ein kleines Stück. Und schau auch mal nach, ob das Kleine trockengelegt werden muss.“
Schon war sie verschwunden. Rafe warf einen beunruhigten Blick auf den winzigen Fleischfresser in seinen Armen. War er jetzt plötzlich zum Kindermädchen degradiert worden? Und wie sollte er erkennen, ob die Mutter dieses Baby noch stillte? Die Frau war fast bewusstlos, und er konnte sich in der Sprache der Apachen nicht verständlich machen. Und was meinte Annie damit, dass er nachsehen sollte, ob es trockengelegt werden musste? Und wenn es so war? Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte.
Aber es zu füttern, schien eine gute Idee zu sein. Das würde er zustande bringen. Er durchsuchte die Satteltaschen, bis er das Stückchen Brot fand. Das Kind quengelte schon wieder und strampelte empört. Er hatte geglaubt, dass die Babys der Apachen immer in
Weitere Kostenlose Bücher