Gefangene des Feuers
noch mehr Brennholz zu sammeln.
„Aber warum müssen wir das jetzt tun?“, protestierte Annie.
„Ich sagte doch bereits, dass es kälter wird. Wir brauchen zusätzliches Holz.“
„Und warum können wir es nicht dann holen, wenn wir es brauchen?“
„Warum extra noch mal in die Kälte rausgehen, wenn wir das Holz gleich bereitliegen haben könnten?“, gab er zurück.
Sie war müde und gereizt. „Aber wir sind nicht lange genug hier, um all das Holz aufzubrauchen.“
„Ich bin schon öfter in den Bergen gewesen, um zu wissen, wovon ich rede. Tun Sie, was ich Ihnen sage.“
Das tat sie, wenn auch sehr widerwillig. Sie hatte während der vergangenen drei Tage schwerer gearbeitet als je zuvor in ihrem Leben, deshalb hätte sie gegen eine kleine Ruhepause nichts einzuwenden gehabt. Sie war schon erschöpft gewesen, kurz bevor sie ihn kennenlernte. Und sie hatte in der letzten Nacht schlecht geschlafen, woran nur er allein schuld war. Normalerweise war sie sehr ausgeglichen und beklagte sich nur selten, aber die Müdigkeit setzte ihrer sonst guten Laune gehörig zu.
Schließlich hatten sie genug Brennholz gesammelt, um ihn zufriedenzustellen, aber selbst dann wurde ihr noch keine Ruhepause gegönnt. Sie mussten noch zur Lichtung gehen, um die Pferde zu holen. Als sie dort ankamen, war die Wiese leer. Annie rutschte das Herz in die Hose. „Sie sind verschwunden!“ „Weit können sie nicht sein. Deshalb habe ich sie ja zusammengebunden.“
Es dauerte etwa zehn Minuten, ehe er sie ausgemacht hatte. Sie hatten Wasser gewittert und sich zu einem Bach durchgeschlagen, vermutlich der gleiche, der auch in der Nähe der Hütte vorbeifloss. Die morgendliche Unruhe der Tiere war verschwunden; sie hatten den ganzen Tag friedlich gegrast. Deshalb hatten sie auch nichts dagegen, als Rafe sie beim Halfter nahm. Annie übernahm ihren Wallach, und schweigend führten sie die Pferde zurück.
Auch danach ließ er ihr noch keine Ruhe. Denn er wollte noch alle Fallen prüfen, ehe es dunkel wurde, und befahl ihr, ihn zu begleiten. All das, was sie über das Durchhaltevermögen oder die Stärke eines Menschen wusste, strafte er Lügen. Eigentlich hätte er mittags schon erschöpft sein müssen. Stattdessen hatte er den ganzen Tag schwere Arbeit verrichtet, die selbst einen gesunden Mann ermüdet hätte.
Auch wenn die Fallen leer waren, schien er weder überrascht noch enttäuscht. Es dämmerte schon, als sie zur Hütte zurückkamen, und das Zwielicht, zusammen mit Annies Müdigkeit, bewirkte, dass sie über eine vorstehende Wurzel stolperte. Auch wenn sie sich selbst auffangen konnte, griff Rafe sofort nach ihrem Unterarm und hielt sie so fest, dass sie vor Schreck aufschrie.
„Alles in Ordnung?“ Er nahm ihren anderen Arm und stellte sie aufrecht vor sich hin.
Tief atmete sie durch. „Mir geht es gut. Sie haben mich erschreckt.“
„Ich wollte nur verhindern, dass Sie hinfallen. Hätten Sie sich den Knöchel gebrochen, würden Sie schnell merken, dass ich als Arzt nicht halb so gut bin wie Sie.“
„Mir geht es gut“, wiederholte sie. „Ich bin nur müde.“
Doch er ließ sie nicht los. Vielmehr stützte er sie mit seiner Hand auf dem Arm für den Rest des Weges. Sie wünschte, er würde sie nicht berühren. Nur allzu deutlich spürte sie die Wärme, die seiner festen, starken Hand entströmte. Die Wärme schwächte ihren Entschluss, Distanz zwischen ihnen zu wahren. Natürlich hatte er nicht die gleiche Entscheidung getroffen und ahnte daher nicht, dass sie ihn mit ihrer Gleichgültigkeit nur auf Abstand halten wollte.
Schließlich schloss er die Hütte für die Nacht ab, während sie das Abendessen zubereitete. Es würde eine Erleichterung sein, sich endlich hinsetzen zu können, selbst wenn es nur ein rauer Holzboden war, durch dessen Ritzen kalte Luft drang. Sie briet Speckscheiben aus und mischte sie unter die Bohnen, dazu gab sie Reis mit ein wenig Zwiebel. Ein köstlicher Duft erfüllte den kleinen Raum. Rafe beugte sich vor, ein begieriges Glitzern in den Augen, während sie seinen Teller füllte. Annie war so müde, dass sie kaum etwas hinunterbrachte, dafür aß Rafe auch noch den letzten Bissen auf.
Eines wollte sie jedoch noch erledigen, ehe sie sich zum Schlafen hinlegte. Nachdem das Geschirr gewaschen war, nahm sie die zweite Decke und sah sich um.
„Was machen Sie denn da?“
„Ich versuche herauszufinden, wo ich die Decke aufhängen kann.“
„Warum denn das?“
„Weil ich mich waschen
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