Gefangene des Feuers
noch fühlte sie einen dumpfen Schmerz, weil sie gezwungen gewesen war zu töten, aber Rafes Geschichte über Trahern hatte ihr geholfen. Sie hatte erkannt, was für ein Mensch er wirklich gewesen war. Sie war jetzt in der Lage, die Erinnerung beiseitezuschieben und sich auf das Naheliegende zu konzentrieren, so wie Krieger es von jeher getan hatten. Auch wenn sie sich nicht als Kriegerin fühlte, waren die Umstände die gleichen, und sie tat das, was Krieger zu tun pflegten: Sie stellte sich geistig und emotional darauf ein, dass das Leben weiterging.
„Mir gefällt es hier draußen“, sagte sie zu Rafe eines späten Nachmittags, als das violette Dämmerlicht über die Berge zu ihnen hinunterkroch. Für einen kurzen Augenblick waren sie noch in goldenes Sonnenlicht getaucht, aber die immer länger werdenden Schatten flüsterten ihnen zu, dass die Nacht nicht mehr weit war.
Rafe lächelte ein wenig, während er sie betrachtete. Es schien ihr nicht mehr wichtig, ihre Haare sorgsam mit Haarnadeln zu bändigen. Vielmehr hatte sie ihre langen blonden Strähnen jetzt zu einem losen Zopf geflochten, der über ihrem Rücken hing. Die Frühlingssonne hatte die Haare um ihr Gesicht gebleicht, sodass sie wirkten wie ein Heiligenschein. Mit Mühe hatte er sie dazu überreden können, ihren Hut zu tragen. Um die Mittagszeit setzte sie ihn auch auf, aber morgens und nachmittags weigerte sie sich. Trotzdem war ihre Haut kaum gebräunt, und Rafe vermutete, dass die Sonne ihrer zarten Haut nur einen warmen Schimmer verleihen würde. Unterröcke schienen für Annie der Vergangenheit anzugehören. Sie hatte sich für Lässigkeit und mehr Bewegungsfreiheit entschieden. Die langen Ärmel ihrer Bluse trug sie nun ständig aufgerollt, außer er rollte sie wieder herunter, um ihre Arme vor der Sonne zu schützen. Und die obersten zwei Knöpfe ihrer Bluse standen jetzt immer offen.
Ihre weibliche Pedanterie hingegen, die sie stets sauber und frisch wirken ließ, hatte sie nicht abgelegt. Doch sie war eindeutig entspannter und schien sogar glücklich. Das verwunderte ihn; er hatte geglaubt, der Verlust ihrer Arbeit als Ärztin würde stets an ihr nagen. Jetzt war alles noch neu für sie, aber die Faszination würde irgendwann nachlassen. Und dann würde sie ihren Beruf vermissen; schließlich hatte sie ihr Leben lang hart dafür gearbeitet.
„Was gefällt dir denn am besten?“, fragte er träge.
Sie lächelte ihn an. „Das Gefühl von Freiheit.“
„Wir sind auf der Flucht. Fühlt sich das für dich nach Freiheit an?“
„Alles fühlt sich für mich nach Freiheit an.“ Sie deutete mit der Hand in einem großen Bogen über das weite Land, das sie umgab. „Alles ist größer hier, weiter. Und es gibt keine Regeln. Wir können tun, was wir wollen.“
„Es gibt immer Regeln, nur dass es hier andere sind. In Philadelphia konntest du dich nicht ohne Unterrock draußen bewegen. Hier nicht ohne Waffen.“
„In Philadelphia müsste ich hinter verschlossenen Türen baden.“ Sie deutete auf einen kleinen Bach, bei dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, der sich zu einem Tümpel erweiterte, gerade groß genug, um als Badezuber zu dienen. „Hier gibt es keine Türen zum Abschließen.“
Bei ihren Worten veränderte sich der Ausdruck in seinen hellgrauen Augen. Die letzten paar Tage, seit sie ihre Regel hatte, waren zunehmend frustrierend für ihn gewesen. Falls sie sich nackt ausziehen würde, wie er vermutete, blieb ihm nichts anderes, als seinen Kopf irgendwo gegen einen Felsen zu schlagen, um sich von seiner fordernden Begierde zu befreien. Ein Mann, der sich auf der Flucht befand, gewöhnte sich daran, immer wieder eine lange Zeit ohne Frau zu sein, doch wenn man doch einmal eine hatte, konnte es zur Qual werden. Der Tyrann in seiner Hose erwartete nun ständig liebende Aufmerksamkeit und ließ Rafe leiden.
Sie warf ihm ein liebliches Lächeln zu. „Warum badest du nicht mit mir zusammen?“ Es war keine Frage. Sie begann, ihre Bluse aufzuknöpfen, während sie zu der Stelle ging, wo der Bach sich erweiterte.
Rafe war im Nu auf den Beinen, während sein Herz vor Aufregung schneller schlug. „Ist denn wieder alles in Ordnung bei dir?“, fragte er mit rauer Stimme. „Denn wenn du dich vor meinen Augen ausziehst, bin ich in dir, Schätzchen, ganz egal, wie es bei dir bestellt ist.“
Sie warf ihm ein Lächeln über die Schulter zu. Der Blick aus ihren dunklen Augen war so verführerisch, dass es ihn wie einen Schlag in den
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