Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
gehässig war.
Aber warum nur hatte Daddy sie nicht mitgenommen?
Plötzlich überfiel Zoe ein Schwindelgefühl. Ihr wurde übel. Sie ließ die Stuhllehne los und presste eine Hand auf ihren Magen. Von nebenan drang ein kehliges Lachen zu ihr herüber. Das Lachen ihrer Mutter, die Besuch hatte von einem ihrer vielen Onkel. Einen Moment später vernahm sie leise Bluesklänge von nebenan – die Musik, die ihre Mutter so sehr liebte und die immer nur das eine bedeutete.
Zoe hielt sich die Ohren zu, weil sie genau wusste, was als Nächstes folgen würde. Das rhythmische Geräusch, das das Bett ihrer Mutter verursachte, wenn es gegen die Wand stieß.
Zoe schleppte sich zu ihrem eigenen Bett, ließ sich drauffallen und zog sich die Decke über den Kopf in der Hoffnung, so den Geräuschen aus dem Nebenzimmer entgehen zu können. Wenn sich ihre Mutter ihrem Vater gegenüber nicht so kalt verhalten hätte, wäre er bestimmt nicht weggegangen. Wenn sie nicht so eifersüchtig auf ihre Tochter gewesen wäre, hätte er sie bestimmt mehr geliebt.
Voller Zorn riss sie sich die Decke vom Kopf, schlug mit der Faust auf das Kopfkissen und schleuderte es dann quer durchs Zimmer. Es landete auf ihrer Frisierkommode und fegte Parfümflakons, Cremetöpfchen und Körperlotions zu Boden. Während sie die lange Reihe von „Onkels“ vor ihrem geistigen Auge aufmarschieren ließ, dachte sie an den Mann im Nebenzimmer. Sie lächelte. Sie hatte ihn verführt. Ebenso wie auch noch ein paar andere Männer, die oft genug gekommen waren und die ihre Mutter am liebsten gemocht hatte. Es war ihre Rache.
Der Gedanke, dass sie den Männern besser gefiel als ihre Mutter, bereitete ihr Vergnügen. Dass sie sie schöner fanden als ihre Mutter. Genau wie ihr Daddy. Der Mann, der jetzt im Nebenzimmer stöhnte, hatte es ihr wieder und wieder gesagt. Zoe war sich sicher, dass er im Moment an sie dachte.
Als die Geräusche im Nebenzimmer verstummten, verschränkte Zoe die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Gott sei Dank waren sie endlich fertig.
Ein Model, dachte sie. O ja, es würde ihr Spaß machen, als Model zu arbeiten. Sie mochte es, ihrer Schönheit wegen bewundert zu werden. Es gefiel ihr, von Männern begehrt zu werden. Sie lebte auf dabei, weil es ihr dieses so wichtige Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. Und es verlieh ihr Macht. Sie setzte sich auf und griff erneut nach der Visitenkarte. Nachdem sie sich wieder hingelegt hatte, fuhr sie mit den Fingerspitzen über die leicht erhobenen Buchstaben.
Jack Gallagher, Modefotograf.
Sie lächelte. Vielleicht war es das ja, worauf sie die ganze Zeit gewartet hatte, seit sie an jenem Nachmittag von der Schule nach Hause gekommen war und erfahren hatte, dass ihr Daddy fortgegangen war. Vielleicht war es das ja, was in ihrem Leben fehlte und wonach sie sich die ganze Zeit so schrecklich gesehnt hatte. Sie hatte nie verstanden, woher dieser grauenhafte Schmerz kam, der in ihrem Inneren wühlte, sie wusste nur, dass er ihr bei allem im Wege stand.
Sie drückte die Visitenkarte an ihre Brust, Hoffnung keimte in ihr auf. Vielleicht war die Visitenkarte ja ein Fingerzeig des Schicksals.
Zoe hatte drei Tage mit ihrem Anruf gewartet, weil sie der Meinung war, dass es einen besseren Eindruck machte. Becky Lynn, die am Apparat gewesen war, hatte so geklungen, als würde sie jeden Tag ein Dutzend Models und mehr abfertigen. Was Zoe angesichts Becky Lynns Drängen ziemlich verärgert hatte.
Doch als sie dann schließich in Jacks Studio stand, wurde ihr klar, dass alle Verärgerung und alles Misstrauen fehl am Platz gewesen waren. Das Studio gehörte ganz offensichtlich einem professionellen Fotografen, und die Aufnahmen an den Wänden sprachen eine unmissverständliche Sprache. Es gab keinen Zweifel daran, dass dieser Jack Gallagher Modefotograf war. Manche der Anzeigen hatte Zoe auch schon in Zeitschriften gesehen.
Zoe stand an der Wand und studierte eingehend die Fotos. Sie musterte das Haar der Mädchen, ihre Augen und Lippen, achtete darauf, wie lang ihre Beine waren und ob sie wenig oder viel Busen hatten.
Sie war so schön wie jede von ihnen, wenn nicht sogar schöner. Sie schaute an sich hinunter. Heute Morgen hatte sie ihre Kleidung noch sorgfältiger ausgewählt als sonst: hautenge Jeans, Sandaletten, ein hauchdünnes, eng anliegendes Top mit nichts darunter.
„Zoe?“
Sie drehte sich um. Ein Typ kam auf sie zugeschlendert. Er blieb vor ihr stehen und streckte ihr die Hand
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