Gefechte der Leidenschaft
Einladungen aus. Er trank zwar sowieso lieber Wein als stärkere Drinks, doch auch davon ließ er an Wettkampftagen oder wenn er Unterricht gab die Finger. Alkohol betäubte die Sinne und das konnte sich kein Fechter leisten, schon gar nicht bei einem Turnier.
Er sah Nicholas allein bei der Tür stehen und war schon drauf und dran, ihm für die letzten Minuten der Pause Gesellschaft zu leisten, da beobachtete er, wie ein Mann zu dem Italiener trat. Der Mann grinste und wies mit dem Daumen zur Eingangstür. Nicholas blickte hinüber und runzelte die Stirn. Caid, der seinem Blick folgte, konnte in der drängelnden Menge nichts erkennen. Dann wurde er zum nächster» Gang gerufen und der Vorfall entschwand aus seinem Gedächtnis. Erst nachdem er seinen fünften Gegner besiegt hatte, fiel er ihm wieder ein und er schaute sich nach Roche um, um festzustellen, ob er in der letzten phrase d'armes wirklich gegen ihn würde antreten müssen.
Doch Nicholas Pasquale war nirgends zu sehen.
In der Nähe stand Edouard Sarne in lässiger Haltung auf sein Florett gestützt. Mit erhobener Stimme rief Caid ihm über das Stimmengewirr hinweg zu: »Haben Sie Pasquale gesehen? Wie hat er in dieser Runde abgeschnitten?«
»Er ist leider gegangen.« In der Stimme des anderen klang falsches Mitleid.
»Wurde er denn besiegt?« Caid, der sich gerade mit einem feuchten Handtuch den Schweiß vom Gesicht wischte, hielt in der Bewegung inne.
»Er wurde weggerufen, das ist alles, was ich weiß«, antwortete Sarne mit übertriebenem Achselzucken. »Und da er nicht wiedergekommen ist, hat man ihn zum Verlierer erklärt.«
»Zu Ihren Gunsten.«
»Es ergab sich so.«
»Unglaublich.« Dass Pasquale so weit gekommen war, nur um dann durch eine Wettkampfregel jede Hoffnung auf den Sieg zu verlieren, war ein harter Schlag.
Sarnes Haltung versteifte sich. »Wollen Sie damit andeuten, dass ich ohne diese Fügung nicht bis in die Endrunde gekommen wäre?«
Genau das war Caids Meinung, doch es wäre ebenso unhöflich wie unklug gewesen, sie offen kundzutun. »Aber gewiss nicht, Monsieur. Ich kann mir nur nicht vorstellen, was ihn hätte weglocken können, außer ...«
Die Straßenjungen, Nicholas' Schützlinge. Sollte einem von ihnen etwas zugestoßen sein, so würde er bestimmt zu ihm eilen, dachte Caid. Es war Nicholas gewesen, der den Jungen aufgetragen hatte, auf Lisette aufzupassen, wenn es auch ursprünglich vielleicht mehr ein Vorwand gewesen war. Er hatte ihnen das Gefühl geben wollen, dass sie eine wichtige Aufgabe erfüllten, und sie zugleich ein wenig Geld verdienen lassen. Und wenn nun jemand einen von ihnen absichtlich verletzt hätte? Wenn das Ganze ein Trick war, um Nicholas aus dem Weg zu schaffen, damit Sarne freie Bahn für den entscheidenden Kampf gegen ihn, Caid, hätte? Solch gemeine Machenschaften waren Sarne durchaus zuzutrauen.
Doch vielleicht war ja auch einer der Jungen mit Neuigkeiten von Lisette gekommen. Mit zusammengezogenen Brauen fragte Caid: »Hat Nicholas denn den Kampfrichtern nicht Bescheid gesagt oder mir eine Nachricht hinterlassen?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Er betrachtete Sarnes großspurige Haltung, sein selbstzufriedenes Lächeln. Vielleicht hätte er diesen Fechter schon früher erledigen sollen, als er die Gelegenheit dazu hatte. »Also stehen wir beide im Finale?«
»Ist es nicht merkwürdig, wie sich die Dinge manchmal fügen? «
Hinter Sarnes harmlosen Worten lag eine tiefere Bedeutung verborgen. Wusste er tatsächlich, warum Nicholas verschwunden war oder spielte er bloß auf ihr Duell an, das durch das Eingreifen der Gendarmen vereitelt worden war? Wollte er andeuten, dass gerade jetzt, in diesem Augenblick jemand von außen die Fäden zog? Oder versuchte er nur Caid abzulenken, um seine eigenen Siegeschancen zu vergrößern? In diesem Fall hatte er sich geirrt. Caids Gedanken entfachten seinen unterschwelligen Ärger zu loderndem Zorn.
Je schneller er diesen albernen Fatzken erledigt hätte, desto eher würde er herauslinden können, wohin und warum Nicholas verschwunden war. Er stolzierte also zum einen Ende der Fechtbahn und wies mit einer Handbewegung auf die gegenüber liegende Seite. »Sollen wir anfangen?«
Der für ihre Bahn zuständige Schiedsrichter kam zu ihnen. Caid und Sarne erhoben die Klingen zum Gruß und legten die mit Knöpfen versehenen Spitzen dicht aneinander. Da erklang der Ruf: »Engarde !«
Erst in diesem Moment blickte Caid seinem Gegner direkt in die Augen. Es
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