Gefechte der Leidenschaft
so war, legte sie keinen Wert darauf.
Zweifellos waren die Jungen dabei beobachtet worden, wie sie die Zettel abrissen. Derjenige, der hinter der ganzen Sache steckte, war wütend geworden und hatte jemanden angeheuert, um sie zu bestrafen. Wahrscheinlich hatte er herausbekommen, dass Squirrel der Anführer war. Caid, der die Straßenbande beauftragt hatte, über
Lisette zu wachen, und der eine Schwäche für die Jungen hatte, war ihnen zu Hilfe geeilt. Was dann geschehen war, hatte sie selbst miterlebt.
An allem war nur sie Schuld. Der Mann, der Sarne geschickt hatte, musste Henri Moisant sein. Eine Sekunde lang fragte sie sich, ob Sarne in letzter Zeit im Auftrag ihres Schwiegervaters um sie herumscharwenzelt war, ihm zugetragen hatte, was sie tat, wer ihre Gäste waren und wo sie sich aufhielt. Er hatte ihm sicher auch von ihrer neuen Equipage und ihrem ersten Ausflug ohne Begleitung berichtet.
Sie hätte eigentlich überrascht sein müssen, dass sich Moisant diesen Helfershelfer ausgesucht hatte, doch das war sie nicht. Sarne bewegte sich seit einigen Jahren am Rande der guten Gesellschaft und hatte, nachdem er das bescheidene Erbteil seiner Mutter durchgebracht hatte, einen Fechtsalon eröffnet. Zuvor hatte er der einen oder anderen Erbin den Hof gemacht, war jedoch abgewiesen worden, vor allem, da er nicht gerade aus der besten Familie kam. Jedermann wusste, dass sein Urgroßvater ein Verbrecher gewesen war, den man wegen Totschlags gehängt hatte, und man tuschelte über ungezügelten Jähzorn und schlechtes Blut in seiner Familie. Solche Dinge zählten im Vieux Carre.
Caid war auch ein Verbrecher gewesen.
Lisette wollte nicht daran denken und es schon gar nicht wichtig nehmen.
Es machte sie ganz krank, dass Squirrel eine Tracht Prügel bezogen hatte, weil sie ihn und seine Freunde für ihre Zwecke eingespannt hatte. Wenn sie sie das nächste Mal sah, würden sie jede Menge zu essen bekommen und außerdem einen sicheren Zufluchtsort, den sie nachts oder wann immer sie wollten aufsuchen konnten. Wenn sie einverstanden waren, würde sie im Junggesellenflügel ein Zimmer für sie herrichten lassen. Das war das Mindeste, was sie tun konnte und sie hätte damit den Grundstein Für ihre eigenen Zukunftspläne gelegt.
Doch warum hatte Caid den anderen Mann gefordert? War es als Antwort auf Moisants Vorgehen und damit zu ihrer Verteidigung geschehen oder hatte er jetzt auch noch die Jungenbande unter seine Fittiche genommen? Falls Sarne im Auftrag ihres Schwiegervaters gehandelt hatte und für seine Taten bezahlen musste, würde es sich Moisant demnächst sicher zweimal überlegen, bevor er sie verleumdete.
Sie vermochte den Gedanken nicht zu ertragen, dass Caid — oder irgendein anderer Mann — ihretwegen getötet wurde. Das war zwar unwahrscheinlich, wenn sie mit Degen kämpften, doch immerhin hatte der Geforderte, in diesem Fall also Sarne, die Wahl der Waffen und konnte sich auch für Pistolen, Gewehre oder dergleichen entscheiden. Sie hatte schon von Duellen gehört, die mit Bowiemessern, Harpunen, ja sogar mit Schrotttinten ausgetragen worden waren, tödlichen Waffen allesamt, die den Duellanten keine Ehre brachten und nur dazu dienten, den Gegner zu ermorden.
Lisette schlug die Hände zusammen, wanderte unruhig auf und ab und überlegte, wie man die ganze Sache aufhalten konnte. Doch ihr fiel nicht das Geringste ein.
Endlich beruhigte sie sich so weit, dass sie die Nachricht an Caid verfassen und sie zur Passage de la Bourse schicken konnte. Sie wartete bis nach Mitternacht, aber es kam keine Antwort. Entweder war er nicht in seinem Studio oder er wollte nicht zu ihr kommen. Schließlich ging sie zu Bett.
Neuigkeiten über das Duell kamen zusammen mit dem Morgenkaffee, den ihr das Zimmermädchen mit großen Augen und wichtiger Miene brachte. Lisette konnte einfach nicht glauben, was sie da hörte, und sagte das auch.
»Mais, oui, ich bin ganz sicher! Die Leute reden heute morgen von nichts anderem. Man hat den irischen Fechtmeister verhaftet. Diesen Monsieur Sarne hätten sie auch mitgenommen, doch er war fix genug, den Gendarmen zu entwischen, als sie über den pauvre Monsieur O’Neill herfielen. Und jetzt wird dem großen Iren wegen des Duells der Prozess gemacht.«
»Aber das passiert doch nie!« Gesetze gegen das Duellieren gab es seit den Tagen der spanischen Herrschaft, doch sie wurden praktisch nie angewendet. Selbst wenn ein Gentleman festgenommen wurde, befanden ihn seine
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