Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
passiert?«
Ich glaub, er hatte nur drauf gewartet, daß ich ihn das frage. Er hat sich geräuspert und ist zum Spülbecken rübergegangen. Er hat eine tiefe Stimme, bißchen rauh, und er hat ganz langsam geredet, wie wenn er dabei überlegte. Er sagte, er wär so gegen dreiviertel fünf gekommen. Warum er gekommen war, hat er nicht gesagt, und ich hab so getan, als würd ich glauben, er hätte nur zu seinem Boot runtergewollt. Aber wenn Sie mich fragen, war ihm klar, daß ich wußte, daß das nicht ganz stimmte. Kurz und gut, so wie er’s mir erzählt hat, hat er das fremde Auto gesehen und das Licht im Haus, das sonst um diese Zeit immer dunkel war, und dann hat er zu sehen geglaubt, wie ein Mann vom Sofa aufgestanden ist und Mary ins Gesicht geschlagen hat. Daraufhin ist er raufgerannt, und wie er zur Hintertür kommt, sieht er, daß dieser Mann Mary gegen den Tisch gedrängt hat und auf sie einprügelt. Es hätte ausgesehen, als wollte der Mann Mary umbringen, sagte er. Er hat die Tür aufgerissen, und da ist der Schuß gefallen.
»Ein Schuß?« hab ich gefragt.
»Nur der eine«, hat Jack gesagt, und ich glaub, das hat er sofort bereut, weil jeder Blinde sehen konnte, daß zwei Schüsse gefallen waren.
»Wem gehört die Waffe?« hab ich gefragt.
Vergessen Sie nicht, Jack hatte immer noch das Kind im Arm, und ich glaub, die Frage hat ihm vielleicht einen Moment zu denken gegeben, aber dann sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken, es wär seine, er hätte sie Mary Amesbury zum Schutz gegeben. Vor einer Woche ungefähr, als Mary Angst gehabt hatte, weil sie nachts was gehört hatte und glaubte, es wär jemand ums Haus geschlichen.
Aber da sagte Mary – sie hat immer noch auf dem Boden gehockt und den Mann – ihren Mann, mein ich – in den Armen gehalten –: »Nicht, Jack!«
Jack hat sie angeschaut, dann hat er mich angeschaut und dann hat er sich von mir weggedreht.
Da ist Mary dann aufgestanden und rübergekommen und hat sich an den Tisch gesetzt. Wie ich schon sagte, sie hat zum Fürchten ausgesehen, und ich hab mich gefragt, wie sie’s geschafft hatte, sich so über und über mit Schlamm zu beschmieren. Aber dann hat sie zu reden angefangen.
Und sie ist immer bei dem geblieben, was sie an dem Morgen gesagt hat.
Ihr zufolge ist ihr Mann morgens zwischen halb drei und drei aufgekreuzt. Er hatte getrunken. Er hat sie vergewaltigt, und dabei hat er ihr einen solchen Schlag versetzt, daß sie bewußtlos geworden ist. Und davor ist er mit einer Gabel auf sie losgegangen.
»Was?« hab ich gefragt. »Mit einer Gabel?«
»Ja, mit einer Gabel«, hat sie geantwortet.
Nachdem er sie vergewaltigt hatte, ist er eingeschlafen, kann auch sein, daß er das Bewußtsein verloren hat. Jedenfalls ist sie dann zu Jacks Kutter rausgefahren und hat die Pistole aus der Kabine geholt und hat ihren Mann im Schlaf erschossen. Sie hat zweimal auf ihn geschossen. Ein Schuß hat die Schulter getroffen und der andere die Brust. Jack wär erst zur Tür reingekommen, nachdem er die Schüsse gehört hatte, sagte sie, aber da wär ihr Mann schon tot gewesen.
Darauf hat Jack gerufen: »Aber so …«, und sie hat ihn unterbrochen und zu mir gesagt: »Genauso war es.« Dann ist sie aufgestanden und zu Jack gegangen. Die beiden haben eine Weile nur dagestanden und sich angeschaut, ehrlich, das war mir richtig peinlich, mit ihnen im selben Raum zu sein, als Zuschauer sozusagen, wo zwischen den beiden alles so offenlag. Dann hat sie Jack auf den Mund geküßt und ihm das Kind abgenommen und sich wieder an den Tisch gesetzt.
Und ich hab bei mir selbst gedacht: Wenn sie diese Geschichte der Polizei erzählt, sehen die beiden sich nie wieder.
Wissen Sie, das Schlimme war, daß Mary sich selbst der ärgste Feind war. Nicht, daß sie auf ihre Tat stolz gewesen wäre oder in irgendeiner Hinsicht froh darüber, nein, das war’s nicht. Es war eher so, daß es das Wichtigste war, was sie je in ihrem Leben getan hatte, und da wollte sie nicht lügen.
Tja, da waren wir nun, wir drei – na ja, genau genommen, wir fünf –, und inzwischen war die Sonne aufgegangen, und da hab ich zu Mary gesagt: »Warum?«
Sie hat eine Weile überlegt, und dann hat sie gesagt: »Weil es sein mußte.«
Und das war’s dann auch schon.
Sie haben sie dann ins Bezirksgefängnis gebracht, aber da konnten sie sie nicht behalten, das eignet sich auf Dauer nicht für Frauen. Sie haben sich dann mit dem Justizministerium abgesprochen und jetzt ist Mary im
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