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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Blick zu.
    »Für das Kleine«, fügte sie hastig hinzu. »Und natürlich auch für Sie, wenn Sie’s mal brauchen sollten. Es ist immer gut zu wissen, wohin man sich in einem Notfall wenden muß.«
    »Danke«, sagte ich und griff nach meiner Handtasche, die auf dem Tisch lag. »Ich würde gern gleich bezahlen. Wie hoch ist die Miete?«
    Sie zögerte, als überlegte sie, dann sagte sie: »Fünfundsiebzig Dollar im Monat.«
    Ich dachte, sogar im Winter könnte sie das Doppelte bekommen. Ich hatte dreihundert Dollar bar in meiner Brieftasche. Wenn ich sehr vorsichtig mit dem Geld umging, würde ich vielleicht zwei Monate auskommen können, ohne mir Arbeit suchen oder Mittel und Wege finden zu müssen, um an mein Bankkonto heranzukommen, ohne meinen Aufenthaltsort preiszugeben.
    Julia nahm das Geld und schob es in die Tasche ihres Parkas. »Sie haben hier kein Telefon«, sagte sie. »Die Vorstellung, daß Sie ganz allein mit dem Kind hier draußen sitzen und kein Telefon haben, gefällt mir nicht besonders. Wenn Sie irgendwelche Probleme haben, gehen Sie am besten zu den LeBlancs rauf – das ist das blaue Haus kurz vor der Stelle, wo wir abgebogen sind. Ich bin ziemlich sicher, daß die ein Telefon haben. Sonst können Sie auch zum Telefonieren immer zu mir kommen. Eine öffentliche Telefonzelle gibt es in St. Hilaire leider nicht. Da müssen Sie schon in den Supermarkt in Machias fahren. Da ist gleich drin neben der Tür ein Münztelefon.«
    Sie beugte sich ein wenig vor und betrachtete Caroline. »Sie werden bald merken, daß St. Hilaire ein ausgesprochen ruhiges Nest ist«, sagte sie.
    Ich nickte.
    »Sie brauchen ein Kinderbett«, meinte sie.
    »Ich hab die Tragetasche.«
    Wieder betrachtete sie das Kind. Sie überlegte. »Ich besorg Ihnen ein Kinderbett«, sagte sie.
    Mir fiel auf, wie ihr Blick jedesmal von meinem Gesicht abrutschte und zu Caroline hinunterglitt.
    Sie stand auf. »Ja, dann will ich mich jetzt mal auf den Weg machen«, sagte sie. »Wenn Sie nichts dagegen haben, mich ins Dorf zurückzufahren.«
    »Nein, das ist völlig in Ordnung«, versicherte ich.
    »Es ist schon wärmer geworden hier drinnen, finden Sie nicht auch?«
    Ich stimmte ihr zu.
    Sie ging zur Tür und schaute zum Meer hinaus. Ich stand mit dem Kind im Arm hinter ihr.
    Ein scharfer Windstoß rüttelte an der Glasscheibe. Ich blickte an Julia vorbei zu der Meereslandschaft hinaus. Ich sah das schneebedeckte Gras, die grauschwarzen Felsen, das tiefe Blau des eisigen Wassers in der Bucht. Das Glitzern der Sonne auf dem Wasser tat den Augen weh. Herrlich, diese Landschaft, dachte ich, aber unwirtlich.
    Ich hatte den Eindruck, daß auch ihre Gedanken dem Meer oder dem Panorama galten, vielleicht auch ihrem Mann, der in der Bucht umgekommen war, denn sie blieb länger als zu erwarten gewesen wäre an der Tür stehen.
    Gerade wollte ich etwas sagen, sie fragen, ob sie etwas vergessen habe, da drehte sie sich herum und sah mir einen Moment voll ins Gesicht, ehe sie zu Caroline hinunterschaute.
    »Es geht mich vielleicht nichts an«, sagte sie, und ich spürte, wie es mir das Herz zusammenkrampfte. »Aber ich hoffe von Herzen, derjenige, der Ihnen das angetan hat, sitzt hinter Gittern.«
    Ich bin müde. Es ist spät, auch wenn man das nicht glauben würde. In den Korridoren brennen die Lichter, und es ist laut hier, sehr laut.
    Ich schreibe morgen weiter und übermorgen, und dann schicke ich Ihnen alles. Sie werden sich wundern.
    Ich habe einen so weiten Weg hinter mir – Sie haben keine Ahnung. Manchmal erinnere ich mich an mein Leben, wie es vor nur einem Jahr noch war, und dann denke ich, das kann doch nicht ich gewesen sein.
    Wir fuhren schweigend ins Dorf zurück. Vom Brummen des Motors oder den Erschütterungen des Wagens eingelullt, war Caroline eingeschlafen, noch bevor wir auf die Küstenstraße abbogen. Als wir St. Hilaire erreichten, schlug Julia vor, ich solle gleich vor dem Laden halten. Sie würde im Wagen auf das Kind aufpassen, sagte sie, dann könne ich in Ruhe einkaufen. Der Vorschlag war vernünftig, und ich nahm ihn an. Ich schaltete in den Leerlauf und ließ Motor und Heizung an.
    Ich erledigte meine Einkäufe rasch, bemüht, nichts Wichtiges zu vergessen. Im Geist machte ich mir Listen, während ich den Einkaufswagen zwischen den Regalen hindurchschob. Everett Shedd stand hinter der Theke und schrieb irgend etwas in ein Heft. Er nickte, zwinkerte mir mit seinem gesunden Auge zu und fragte, ob ich im Gateway gut

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