Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
war, sondern eine hellere, gelbliche Färbung angenommen hatte, aber die Male waren immer noch sichtbar.
Ich nickte.
»Was meinen Sie, wie die Chancen stehen, daß er Sie findet?« fragte er.
Ich überlegte einen Moment.
»Ziemlich gut«, antwortete ich dann. »Nachforschungen anzustellen, gehört zu seinem Beruf. Er versteht sich darauf, Geheimnissen auf die Spur zu kommen.«
»Und was glauben Sie, passiert, wenn er Sie findet?«
Ich sah zu seiner Hand hinunter, die fest auf meiner lag.
»Ich glaube, dann bringt er mich um«, sagte ich. »Ich glaube, er wird mich umbringen, weil er gar nicht anders kann.«
»Waren Sie bei der Polizei?« fragte er.
»Ich kann nicht zur Polizei gehen«, entgegnete ich.
»Warum nicht?«
»Weil ich sein Kind entführt habe.«
»Aber das mußten Sie doch tun, um sich selbst zu retten.«
»Ja, aber so wird es nicht aussehen. Er ist sehr schlau.«
Auch er sah jetzt zu unseren Händen hinunter. Er begann, meinen Arm zu streicheln, vom Handgelenk zum Ellbogen hinauf. Ich hatte einen Pullover an, die Ärmel über die Ellenbogen hochgeschoben. Er streichelte meine Haut, langsam und sachte.
»Sie sind verheiratet«, sagte ich.
Er nickte. »Meine Frau ist nicht …« Er brach ab.
Ich wartete.
»Sie ist krank«, sagte er schließlich. »Sie hat ein chronisches Leiden. Wir leben zusammen, aber es ist keine …«
»Ehe.«
»Ja.«
Immer noch streichelte er meinen Arm. Ich hätte ihn wegziehen können, aber das schaffte ich nicht. Ich konnte mich nicht rühren. Es war so lange her, seit jemand mich so sanft, so liebevoll berührt hatte. Ich war wie gelähmt vor Dankbarkeit.
»Wir haben seit Jahren nicht mehr … Wir waren nie mehr zusammen«, sagte er.
»Ich weiß zwar, wer Sie sind, aber Sie haben mir noch nicht einmal Ihren Namen gesagt«, sagte ich.
»Jack«, sagte er.
»Ich heiße in Wirklichkeit Maureen«, sagte ich. »Maureen English. Aber jetzt bin ich Mary. Ich habe den Namen angenommen. Ich werde Mary bleiben.«
»Und Ihre Tochter heißt Caroline«, sagte er.
»Ja.«
»Das ist ihr richtiger Name?«
»Ja«, antwortete ich. »Ich könnte sie nicht bei einem fremden Namen nennen.«
Er lächelte und nickte.
»Ich kann das nicht«, sagte ich. »Ich kann das nicht mehr.«
Ich sagte es, aber meinen Arm zog ich nicht weg. Die Berührung seiner Finger war wie eine linde warme Welle, die über mich hin spülte, ich wollte nicht, daß sie aufhörte.
»Ich habe Angst«, sagte ich.
»Ich weiß.«
»Sie könnten ja mein Vater sein.« Der Gedanke war mir – gerade erst oder schon seit Tagen? – durch den Kopf gegangen, und ich fand, um ihn zur Ruhe zu bringen, müsse er schnell ausgesprochen werden.
»Das nun wirklich nicht«, entgegnete er. »Das heißt, theoretisch natürlich, ja. Ich bin dreiundvierzig.«
»Ich bin sechsundzwanzig.« Er nickte, als sei ihm das schon klar gewesen.
Draußen tuteten unablässig die Nebelhörner – durchdringend und gnadenlos.
Er zog seine Hand von meinem Arm, stand auf und trug seine Teetasse zum Spülbecken.
»Ich gehe jetzt«, sagte er. Er nahm seinen Ölmantel vom Haken an der Tür. »Ich bin schon lang genug weg. Ich kann meine Frau nicht zu lang allein lassen.«
Ich stand ebenfalls auf, sagte aber nichts.
»Aber ich komme wieder«, sagte er. »Ich kann nicht sagen, wann …«
Ich nickte.
»Hab keine Angst«, sagte er.
Ich erwachte vom Brummen des Motors auf der Straße. Vor dem Fenster war nur ein grauer Schimmer, aber ich konnte die Wipfel der Bäume sehen. Es war noch kein Nebel. Ich hörte den Wagen anhalten, aber nicht am Ende der Landzunge, unten am Haus.
Ich schlug die Decke zurück und lief die Treppe hinunter in die Küche. Harrold kann mich doch noch nicht gefunden haben, dachte ich. Mein Herz raste.
Dann sah ich durch das Glas in der Tür verschwommenes Gelb.
Ich sperrte auf.
Jack kam herein und nahm mich in die Arme.
Einen Moment lang konnte ich nicht sprechen.
Dann sagte ich: »Du riechst wie das Meer.«
»Ich glaube, das bleibt mir für immer«, sagte er.
Später, bevor die Sonne ganz aufgegangen war, stiegen wir aus meinem Bett und gingen wieder in die Küche hinunter. Er hatte seine Kleider mitgenommen und zog sich vor mir stehend an. Er bewegte sich völlig unbefangen, obwohl er wußte, daß ich ihm zusah.
Ich hatte im Schlafzimmer mein Nachthemd und meine Wolljacke übergezogen. Ich machte uns Kaffee und Cornflakes zum Frühstück. Wir sprachen nicht, während er sich anzog, dann setzte er
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