Gefuehlschaos inklusive
führe meine Beobachtungen zu Ende. Zu mehr wäre ich ohnehin gerade nicht fähig, da meine Motorik versagt. Ich stehe da wie festzementiert. Sie tippelt auf Zehenspitzen über den Flur, als Olivers Tür sich noch einmal öffnet und ein Arm ihr einen Morgenmantel hinterherwirft. So, ich habe genug gesehen. Das schlägt ja wohl dem Fass den Boden aus. Wenn er also bei der einen nicht landen kann, dann poliert er sein Ego mit der anderen wieder auf. Da kann ich ja nur froh sein, dass ich Oliver nicht auf den Leim gegangen bin. Ich habe sein falsches Spiel aufgedeckt und bin wirklich froh darüber. Ja, sogar sehr froh! Wutschnaubend laufe ich zu meinem Zimmer zurück. Als wäre der Kleiderschrank mein Feind, reiße ich die Schranktüren auf und rupfe meine Kleidung vom Bügel. Ich erspare mir, sie fein säuberlich zusammenzulegen, und stopfe sie so gewaltsam in meine Reisetasche, als würde ich damit ein leckgeschlagenes Rohr flicken wollen. Eine Rückreise in Anjas Wagen kommt für mich unter diesen Umständen nicht mehr infrage. Ihr Gelaber könnte ich jetzt nicht ertragen. Wozu gibt es Züge? Ich bestelle mir ein Taxi und verlasse die Pension, ohne mich von irgendjemandem zu verabschieden.
Das Gefühlschaos ist perfekt
Der Montagmorgen entpuppt sich als erbarmungslos. Mein Schreibtisch droht, unter der Menge der Aktenberge zusammenzubrechen, und das Telefon klingelt pausenlos. Ich friere entsetzlich und das Kratzen im Hals kündigt eine einsetzende Erkältung an. Das hat mir gerade noch gefehlt. Und ich habe noch die ganze Woche vor mir. Das letzte Wochenende war alles andere als eine Erholung und in jeglicher Hinsicht eine Enttäuschung. Weder hatte ich Zeit für mich noch konnte ich meinem Hobby uneingeschränkt und in Ruhe nachgehen. Und daran ist einzig und allein Oliver schuld.
Am Abend ist meine Nase so rot wie der Hintern eines Pavians. Christian kann mein Leiden nicht mehr mit ansehen und bietet mir an, ein paar Tage zu Hause zu bleiben.
„Du siehst wirklich schlecht aus, Claudia. Es ist besser, wenn du dich schonst. So krank nützt du mir hier gar nichts.“
„Ich muss mich wohl verkühlt haben am Wochenende. Ausgerechnet jetzt, wo so viel zu tun ist.“
Christian schmunzelt und streicht mir durch die Locken. Seine freundschaftliche Geste löst etwas in mir aus, was nicht sein sollte. Ich versuche, darüber nicht weiter nachzudenken. Schließlich habe ich gerade genug Altlasten an der Backe. Da kann ich ein weiteres Gefühlsdurcheinander nicht gebrauchen.
„Nun fahr erst mal heim und kuriere deine Erkältung aus“, sagt er verständnisvoll und verlässt mein Büro.
Dankbar nehme ich seinen Vorschlag an und räume meinen Schreibtisch so gut wie möglich auf. Die Papiere schaffe ich nicht mehr zu sortieren, es sind einfach zu viele. Somit bleiben sie ungeordnet liegen und geben mir das Gefühl, ich hätte nichts geschafft an diesem Tag. Unmöglich, dass ich ein paar Tage frei nehme. Es würde alles unbearbeitet liegen bleiben. Ich muss noch einmal mit Christian sprechen. Mit einigen Belegen in der Hand betrete ich sein Büro und höre unfreiwillig ein Telefonat mit, dessen Inhalt ganz sicher nicht für meine Ohren bestimmt ist. Ich sollte wieder gehen, aber ich kann es nicht. Wie durch eine dicke Nebelwand erreichen mich die Worte. Worte der Liebe, innig und gefühlvoll gesprochen. Sie durchbohren mein Herz und verursachen große Schmerzen in mir. Meine in Wallung geratenen Gefühle sind mir unerklärlich und ergeben keinen Sinn. Es sollte keine Rolle spielen, mit wem Christian telefoniert oder was er dabei sagt. Aber es ist mir wichtig. So wichtig, das ich dabei seine Intimsphäre verletze und ein Gespräch belausche, dass mich nichts angeht. Nie wäre mir so etwas in der Vergangenheit eingefallen. Aber jetzt stehe ich wie ein Spion in seinem Zimmer und beobachte ihn beim Telefonieren, während er mir den Rücken zukehrt. Wenn ich jetzt nicht sofort gehe, riskiere ich, von ihm entdeckt zu werden. Nur es gelingt mir nicht, mich von der Stelle zu bewegen. Mit wem mag er gerade sprechen? Mit einer neuen Frau, die in sein Leben getreten ist, nachdem ich ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen habe? Weshalb möchte ich das wissen? Ich hatte einen Entschluss getroffen: nämlich Christian nicht in mein Herz zu lassen. Sollte er etwa einen Weg hineingefunden haben, ohne dass es mir bewusst wurde? Ich kann nicht anders: Ich muss dieses Telefonat auf der Stelle stoppen. Er kann diese Gefühlsduselei
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