Gefürchtet
waren wie Watte. Benommen stolperte ich zum Gehsteig.
Thea stand mit dem Daumen im Mund am Straßenrand. Ich riss sie in die Arme. Sie duftete süß nach Baby. Mit bekümmerter Miene kuschelte sie sich in meine Arme.
»Hundi«, sagte sie.
»Ich weiß, Schätzchen.«
Ollie winselte nur noch leise. Helen Potts kniete sich neben Nikki.
»Was sollen wir tun?«, fragte Nikki.
Ein anderer Nachbar brachte ein Badelaken. »Wickeln Sie ihn ein. Das arme Kerlchen. Was sind das für Leute, die so was machen!«
Gemeinsam spähten wir umher, aber das Auto war weg. Nikki bemerkte Thea in mei nen Armen und hauchte ein lautloses »Danke«, bevor sie das Badelaken um den Welpen legte. Aus dem Eckhaus eilte Dennis Hutchinson auf uns zu, ein Tierarzt. Ich wiegte Thea, die anderen versammelten sich um die kleine Gestalt auf der Straße. Aber Ollie winselte nicht mehr.
»Es tut mir leid«, sagte Hutchinson nach einem kurzen Blick. Er schüttelte den Kopf.
Nachdem er kurz mit Nikki gesprochen hatte, wickelte er den Welpen in das Badelaken und nahm ihn mit zu sich nach Hause. Nikki rappelte sich auf, schaffte es aber nur bis zu mir. Als sie Thea in den Armen hielt, ließ sie sich auf den Bordstein sinken und umklammerte sie ganz fest.
Ich setzte mich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Ich dachte …«, sagte sie.
»Ich auch.«
»Das Tor braucht ein neues Schloss.«
Thea zappelte und deutete auf Dr. Hutchinson. »Hundi traurig?«
»Ja, Schätzchen.«
Für einen Augenblick blieben wir so sitzen.
»Ich hatte wahrscheinlich noch nie so viel Glück wie heute«, sagte Nikki dann.
»Ich auch nicht.«
Das Leben ist voller Ironie. Ich hasse das.
Wieder im Haus sperrte ich die Tür hinter mir ab und ließ mich aufs Sofa fallen. Die Musik war viel zu melancholisch, und die Luft muffig. Ich brauchte einen Drink.
Hinter mir knarrte der Fußboden. Als ich mich halb umdrehte, legte sich eine behandschuhte Hand auf meinen Mund. Silber blitzte vor meinen Augen, und ein muskulöser Arm umfing mich. Die Säge eines Messers drückte sich gegen meine Kehle.
»Keinen Mucks.«
Shaun kletterte über die Sofalehne und hockte sich auf das Polster neben mir. Die Klinge schnitt in mei nen Hals. Sei ne meergrünen Augen funkelten, als er sein Gesicht dicht an das meine neigte.
»Du hältst den Mund und tust genau, was ich sage.«
Er ließ einen Rucksack in meinen Schoß fallen. »Aufmachen.«
Noch hatte er mir nicht die Kehle durchgeschnitten, aber das hieß nicht, dass er es nicht plante. Ich starrte ihm ins Gesicht.
Vor wenigen Stunden hatte ich mich Gott im Austausch gegen Jesse angeboten. Und jetzt das.
Nein. So nicht. Nicht jetzt. Nicht, wenn ich es verhindern konnte.
Während ich Shaun fixierte, überwältigte mich plötzlich die übernatürliche Gewissheit, dass meine Zeit noch nicht gekommen war. Gott besaß keinen kranken Sinn für Humor.
Ich öffnete den Rucksack.
»Hol den Camcorder raus.«
Ich fischte eine Videokamera aus dem Rucksack. Dabei schaute ich mich nach ei nem Fluchtweg um. Sämtliche Jalousien waren heruntergelassen. Shaun hatte das Telefon ausgesteckt, und mein Handy lag am anderen Ende des Zimmers auf dem Esstisch. Trotzdem blieb ich erstaunlich ruhig. Vielleicht stand ich ja unter Schock. Aber ich wusste, dass Nikki zu Hause war. Marc war unterwegs hierher. Wenn ich irgendwie Aufmerksamkeit erregen konnte, würde ich Hil fe finden. Noch besser: Falls ich eine Waffe in die Finger bekam, konnte ich mir selbst helfen. Und Brians Pistole lag im Schlafzimmer.
»Hoch mit dir.«
Wir erhoben uns gemeinsam, ohne dass er das Messer von meiner Kehle nahm.
»Und jetzt gehen wir schön langsam zusammen in die Küche.«
Er trieb mich vor sich her zur Küchentheke.
»Stell die Kamera mit dem Objektiv zum Wohn zimmer auf die Theke.«
Ich platzierte sie so, dass sie uns filmte. Plante der Kerl ein Selbstporträt?
»Gut.« Sein Mund berührte mein Ohr. »Heute drehen wir Amerikas peinlichstes Homevideo.«
Es dauerte einen Augenblick, bis ich kapierte. Ich gefror zu Eis. Shaun trug sogar dieselbe Militärhose wie in der Nacht, als er in Isla Vista gegen ein parkendes Auto gepinkelt hatte.
»Also erinnerst du dich doch.« Das schien ihn zu freuen.
Als ich den Mund öffnete, um zu antworten, drückte er das Messer gegen meinen Kehlkopf.
»Oh nein. Du hast in diesem Film keinen Text. Du erscheinst nur im Abspann, wie all die anderen Loser, die mir das Leben versaut haben.« Er senkte die Stimme.
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