Gefürchtet
besiegeln sollen.
Jesse setzte aus der Parklücke, kurbelte am Lenkrad - und entdeckte mich. Ich rannte in die Einfahrt, stellte mich vor das Auto und legte beide Hände auf die Motorhaube.
»Warte.«
Der Motor rüttelte selbst im Leerlauf meine Hände und Arme durch. Jesses Gesicht wirkte erschöpft und distanziert. Die Stereoanlage war voll aufgedreht: Springsteen, The Rising. Es klang düster und bedrohlich.
Jesse öffnete sein Fenster. »Ich kann nicht mehr, Evan.«
»Ich steige jetzt ein.«
»Nein. Ich bin fertig mit allem. Lavonne kann dich heute Nachmittag begleiten.«
»Die Mings sind hier. Hörst du? Sie spielen Staying Alive.«
Er warf einen Blick auf das Klubhaus und auf Marc, der vor Wut kochte.
»Sie haben mich gesehen«, erklärte ich. »Und wenn sie dich auch bemerkt haben?«
Er zuckte mit den Schultern. Dann schaute er mich an. »Ich fahre.«
»Nicht ohne mich.«
Ich lief um das Auto herum, stieg ein und schlug die Tür zu. Marc kam auf uns zu. Jesse packte den Schalthebel. Er wartete darauf, dass ich etwas sagte. Nur ein Wort, und er würde mich rausschmeißen. Ich warf Marc einen entschuldigenden Blick zu und biss mir auf die Zunge.
»Also gut.« Damit trat er das Gaspedal durch.
Wir donnerten über die Zufahrtsstraße. Goldenes Licht und grüne Schatten flogen über uns hinweg. Im Außenspiegel
beobachtete ich, wie Marc uns nachsprintete, aber er hatte keine Chance. Nach ein paar Schritten gab er auf und winkte hektisch dem Jungen vom Parkservice.
»Sind uns die Mings auf den Fersen?«, fragte Jesse.
»Bis jetzt nicht, aber das kann sich jederzeit ändern.«
»Die holen uns nicht mehr ein.«
Wir rasten hinaus auf die Hauptstraße. Der Motor des Mustangs r öhrte u ngebärdig. A us d er Stereoanlage d röhnte Worlds Apart, eine finstere Mischung aus Wut und Trauer. Die Eichen flogen an uns vorüber.
»Ich weiß, das war dumm von mir«, sagte ich. »Ich hätte das nicht tun dürfen.«
Wir schleuderten um eine Kurve, und ich stemmte die Füße in den Boden. Leider hatte ich kein Bremspedal. Er lenkte wieder geradeaus, und der Wagen raste weiter.
»Wie kommt er dazu, PJ zu sagen, er bekleckert sich nicht mit Ruhm, wenn er sich mit mir prügelt?«, fragte er.
»Jesse, du …«
»Sag ja nichts. Halt einfach den Mund. Ich habe noch nie so was Dummes und Rücksichtsloses getan wie heute. Mei ne Familie wird mir das nie ver zeihen.« Er warf ei nen Blick in den Spiegel. »Ich hatte PJ im Griff. Der Junge war erledigt.«
»Ich weiß. Danke, dass du dich für mich in die Bresche geworfen hast.«
»Es war ein fairer Kampf. Dein Kampfpilot hatte nicht den geringsten Grund, sich einzumischen.«
»Ich könnte mir denken, dass er so was schon öfter getan hat. Er wollte dich nicht beleidigen.«
»Seine Pilotenbrille kann er sich sonst wohin stecken. Wir sind hier nicht bei den Marinefliegern.«
»Hör mal, das reicht jetzt.« Ich hatte allmählich genug. »Hier geht es doch gar nicht um die US Navy.«
»Nein? Worum dann?«
Die weiße Markierung auf der Straße verschwamm, und meine Ohren schmerzten von der Musik. Ich stellte sie leiser.
Er drehte die Lautstärke sofort wieder hoch. Der Mustang sprang über eine Bodenwelle.
»Du fährst zu schnell«, sagte ich.
Keine Antwort.
Ich holte die CD aus der Stereoanlage, öffnete das Fenster und warf sie hinaus. Jesse riss verblüfft den Mund auf, aber er hielt nicht an.
Sie. Diese Evan Delaney trieb sich mit ihrer kleinen Freundin auf dieser affigen Hochzeit in Montecito herum. Er beobachtete, wie sie die Flucht ergriff, und wäre ihr gern gefolgt, aber sie waren mitten im Stück und konnten nicht einfach aufhören. Also spielte er weiter, obwohl sie unbedingt was unternehmen mussten.
Er blieb im Rhythmus, als er sich umdrehte. Murph spielte konzentriert, wirkte jedoch, als hätte er einen Plan. Murph hatte immer einen Plan. Wenn nötig, dachte er sich einfach kurzerhand ei nen aus. Manchmal brachte ihnen das Ärger mit Toby ein. Besser gesagt, ihm brachte es Ärger ein, weil selbst Toby Angst vor Murph hatte und deswegen seine Zunge hütete. Dafür putzte er dann Merlin herunter.
Der letzte Refrain. Sie spielten ein Ritardando, Murph legte einen kleinen Wirbel hin und ließ das Schlagzeug ausklingen. Merlin lockerte seine Schultern. Solche Situationen machten ihn nervös.
Das nächste Stück auf ihrer Liste war Isn’t she lovely, aber Murph hatte sich offenbar was überlegt.
»Staying Alive, instrumental«, sagte er zur
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