Gefürchtet
Richtung Stadt und drehte mich auch nicht um, als er mei nen Namen rief. Das Licht war von gleißender Helligkeit, aber dort, wo die Bäu me den Straßenrand beschatteten, glänzten noch Pfützen. Jesse legte den Gang ein und rollte neben mir her.
»Bitte steig ein«, sagte er.
Ich schüttelte den Kopf. Der Mustang blieb neben mir.
»Bitte. Ich fahre auch ganz vorsichtig. Du kannst fahren. Oder wir fahren gar nicht, wir reden nur. Bitte.«
Der Motor grollte. Es klang, als wollte er mich fressen.
»Ich steige nicht mehr in dieses Auto, da kannst du sagen, was du willst.«
»Evan, es tut mir leid.«
Ich sah ihn nicht an. »Wenn du dich umbringen willst, dann ohne mich.«
Sein Schweigen hallte mir in den Ohren.
»Marc muss gleich hier sein«, sagte Jesse schließlich mit ausdrucksloser Stimme. »Du kannst mit ihm fahren.«
Ich nickte und winkte ihm, weiterzufahren.
»Erst wenn ich sein Auto sehe.«
Ich patschte in eine Pfütze. Nach ei ner Minute hörten wir ein Fahrzeug aus Richtung des Country Clubs kommen: Marcs Pick-up.
»Ev.«
»Fahr endlich.«
Er gab Gas.
Das Schwei gen im Tal war geradezu ohrenbetäubend. Während ich auf Marc wartete, schlang ich die Arme um den Körper, um mich selbst zu trösten. Lange hielt ich das nicht mehr aus. Der Gedanke, in Marcs Gegenwart die Fassung zu verlieren, war mir zuwider. Zugleich sehnte ich mich danach, mich an sei ner Schulter aus zuwei nen. Der Pick-up wurde langsamer und hielt. Ich stolperte auf den Wagen zu.
Die Türen öffneten sich, und die Ming-Brüder stiegen aus.
Zwei Herzschläge lang blieb ich wie angewurzelt stehen. Was hatten sie Marc angetan?
Egal. Wenn ich nicht die Beine in die Hand nahm, würde mich dasselbe Schicksal ereilen. Wie von der Tarantel gestochen, rannte ich los.
Aber Murphy war schneller. Er hechtete mir nach und gab mir von hinten einen Schubs, der mich bäuchlings in eine Pfütze beförderte. Die Luft wurde aus mei nen Lungen gedrückt, und meine Ellbogen schürften über den schlammigen Schotter. Ich stemmte mich hoch und versuchte, auf allen vieren davonzukrabbeln, aber meine Beine hatten sich in meinem Rock verfangen. Murphy setzte mir den Fuß zwischen die Schulterblätter und drückte mich zu Boden.
»Wo ist das Geld?«
Hilflos wand ich mich unter seinem unbarmherzigen Fuß.
»Ist alles arrangiert«, behauptete ich.
Merlin, diese Ratte in Puderblau, tigerte auf und ab. »Die lügt.«
»Was wollt ihr überhaupt? Mein Termin bei Mr. Price ist erst um fünf.«
Murphy ließ sich rittlings auf mei nen Rücken plumpsen. Ich hatte das Gefühl, unter einer Hundert-Kilo-Matratze zu liegen, die mir den Atem raubte.
»Du hast doch behauptet, du brauchst bis fünf, um das Geld zu organisieren. Wieso treibst du dich dann auf dieser Nobelhochzeit rum?« Er gab Merlin ein Zeichen. »Schau dir mal ihre Handtasche an. Vielleicht ist es da drin.«
Merlin schnappte sich meine kleine Handtasche und leerte den Inhalt auf den Boden. Mit ei nem Fußtritt beförderte er Lippenstift und Handy in die Pfütze.
»Nichts.«
Ich drehte den Kopf nach ihm um. »Was soll der Quatsch? Fünfundzwanzigtausend würden doch gar nicht in die winzige Tasche passen. Ihr wisst doch, wie viele Scheine das wären.«
Er trat nach mei nem Schlüsselbund. Dann griff er nach der Brieftasche und holte sämtliches Bargeld heraus. Es waren vierundsechzig Dollar.
»Du hast keinen Finger krumm gemacht, du verlogenes Miststück. Du hast uns schon wieder aufs Kreuz gelegt.«
Er warf Brieftasche und Geld nach mir.
»Toby bringt uns um, Murph«, jammerte er und drehte sich um sich selbst. Seine kleinen Pfoten wühlten sich in das schüttere Haar.
Murphys Hüftknochen drückten gegen meine Rippen. »Jetzt beruhig dich erst mal.«
»Wir sollten doch auf sie aufpassen, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommt«, zeterte Merlin.
»Halt die Klappe«, sagte sein Bruder.
»Sollen wir dem Boss erzählen, dass wir sie bei unserem Auftritt erwischt haben, wie sie mit ihren feinen Freunden Party feiert und sich dabei ins Fäustchen lacht?«
»Das Geld liegt bereit«, behauptete ich.
»Wir haben euch gesehen, dich und deine Komplizin.« Er stapfte im Kreis herum.
»Falls du Sinsa Jimson meinst, bist du …«
»Wahrscheinlich habt ihr gerade besprochen, wie ihr uns übers Ohr hauen könnt.« Ohne Vorwarnung wechselte er die Richtung und schlug mir mit voller Kraft ins Gesicht.
Mein Kopf schnellte zur Seite. Er schlug mich auf die andere Wange. Vor meinen Augen
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