Gefürchtet
ihn nach hinten um.
Er landete auf dem Boden. Devi kreischte. Von den Gästen kamen entsetzte Ausrufe. Das Klappern des Bestecks verstummte; dann herrschte Totenstille.
»Bei ei nem Mann liegt der Schwerpunkt auf Brusthöhe«, erläuterte ich. »Wenn man sich zu weit zu rücklehnt, besteht die Gefahr, dass man umkippt.«
Devi sprang auf. PJ war wie ein Käfer auf dem Rücken gelandet. Er wirkte benommen und verängstigt. Ihm war wohl
klar, dass er sich besser in Sicherheit brachte - aber genau da lag das Problem.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Devi.
»Hochzeitsdemenz. Ruf die Polizei.«
Hektisch sah sie sich im Restaurant um, wo der Maître d’Hôtel bereits im Anmarsch war.
»Ruf die Polizei.«
PJ hob die Arme wie ein Wunderheiler. »Nein! Kei ne Polizei.«
Sie lief um den Tisch herum und ging neben ihm auf die Knie. Vorsichtig, als könnte er sich auflösen, berührte sie seine Brust. »Bist du verletzt?«
»Noch nicht«, sagte ich, »aber gleich. Zwanzig. Neunzehn. Achtzehn.«
Er angelte nach dem Rollstuhl, aber ich stellte ihn auf und zog ihn mit mir in Richtung Fenster, außer PJs Reichweite.
Devis flatternde Hände schwebten über ihm. »Was soll ich tun?«
»Heb ihn schnell auf«, sagte ich. »Siebzehn. Sonst verliere ich die Beherrschung und fange an rumzuschreien. Und dabei kommen manchmal die unangenehmsten Dinge raus.«
PJ warf mir einen panischen Blick zu. »Nein, ich komm schon allein zurecht. Nicht anfassen, bitte.«
Mehrere Gäste und der Maître d’Hôtel rückten vor. Der Maître winkte mir affektiert mit zwei Fingern. »Madame, Sie gehen jetzt besser. Folgen Sie mir.«
»Treten Sie zurück, Pierre.«
Ich verteidigte mich mit dem Rollstuhl. PJ wedelte mit den Armen.
»Fassen Sie sie nicht an.«
Devi griff nach ihrer Kehle. »Er ist gelähmt. Lass ihn in Ruhe.«
»Du erinnerst dich doch: Zwei Minuten, dann werde ich richtig sauer. Du hast noch sechzehn Sekunden.«
PJ stemmte sich zum Sitzen hoch. »Kathleen, du brauchst
Hilfe. Ich bringe dich an einen sicheren Ort.«
»Fünfzehn. Kreditkartenbetrug. Vierzehn. Rechtsberatung ohne Anwaltslizenz.«
»Jesse, was soll ich tun?«, fragte Devi.
»Das ist nicht Jesse«, korrigierte ich. »Dreizehn.«
»Was meinst du damit? Natürlich ist das Jesse.« Entsetzt beobachtete sie, wie er über den Boden rutschte, um den Rollstuhl zu erreichen.
PJ war mittlerweile völlig durchgeschwitzt. »Gehen Sie wieder an Ihre Tische. Bitte! Das ist entwürdigend.«
Der Maître trat zu rück. Ich griff nach mei nem doppelten Bacardi.
»Zwölf, PJ. Elf.«
»PJ? Wer ist PJ?«, fragte Devi.
»Das ist er. Zehn. Schwerer Diebstahl. Neun. Der An zug. Acht. Sinsas Kleid. Sechs. Die Blu men, die du mir geschickt hast. Fünf.«
Er rutschte weiter rückwärts. »Was ist mit sieben?«
Ich zog den Rollstuhl aus seiner Reichweite. »Vier. Erster-Klasse-Tickets nach Barbados. Sag ihr, wer du bist.«
»Ev … Kathleen …«
»Drei. Als Gesunder den Gelähmten spielen, um das Mädchen hier um sein Geld zu bringen.« Köpfe drehten sich nach uns um. Maître d’Hôtel, Kell ner, Gäste - alle Blicken hingen an uns.
»Stimmt gar nicht.«
»Zwei. Deinem Bruder …« Meine Stimme versagte. »Deinem Bruder das Herz brechen.«
»Hab ich doch nicht.«
»Du tust es gerade. Eins. Brittany Gaines als Sündenbock missbrauchen.«
Ohne mich aus den Augen zu lassen, angelte PJ nach dem Tisch. Sein Atem ging schwer, aber er sagte kein Wort.
»Null.« Ich schüttete ihm den Rum ins Gesicht.
Die Menge stöhnte auf und murrte missbilligend.
»So, du hast es geschafft: Jetzt bin ich richtig sauer«, erklärte ich, während ich Devis Feuerzeug aus der Schlinge holte. Ich hielt es in die Höhe. Mein Dau men ruhte auf dem Zündrad. Jeder Ausdruck war aus PJs Gesicht gewichen.
»Hast du schon mal von einem Drink namens ›Flambiertes Arschloch‹ gehört?«, fragte ich.
»Reiner Bacardi ist doch nicht …«
»Nein, aber du.«
Ich schnippte mit dem Dau men, und das Feuerzeug erwachte zum Leben. Genau wie PJ, der auf die Füße sprang und zur Tür rannte.
28. Kapitel
Einen halben Kilometer von der Ranch entfernt holte ich PJ ein, der mit gerecktem Daumen am Straßenrand entlangwanderte. Als er mein Motorengeräusch hörte, drehte er sich erwartungsvoll um. Bei mei nem Anblick stutzte er, zuckte zusammen und rannte los.
»Also bitte«, sagte ich.
Die Straße führte bergab durch bewaldetes Land zum Ort Montecito. Ich gab ihm etwas Vorsprung, bevor ich mich
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