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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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eigentlich vorhatte, schrie er plötzlich: »Ach, da bist du! Verdammt! Was treibst du denn jetzt schon wieder?« Mit diesen Worten lief er zur Gittertür und zerrte durch das Gitter an Bess’ Ärmel. »Komm sofort da raus!«
    »Gehört diese Frau zu Euch, Sir?«, fragte der Schließer.
    »Jawohl, Sir! Leider!«, sagte Henry kopfschüttelnd. »Eine wahre Plage!«
    »Und was macht sie hier?«
    »Das wüsste ich auch gern«, antwortete Henry und zerrte erneut an Bess’ Ärmel. »Antworte gefälligst, wenn man dich was fragt. Wie kommst du hinter das Gitter, verdammt? Oder soll ich die Antwort aus dir rausprügeln?«
    »Also … das war so«, stotterte Bess und schaute Henry scheinbar verstört und eingeschüchtert an. »Als die beiden Männer zu kämpfen anfingen, hab ich’s mit der Angst zu tun bekommen. Drum bin ich hinters Gitter gelaufen. Die Tür stand offen. Konnte ja nicht wissen, dass …«
    »Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst am Pult stehen bleiben, bis ich wiederkomme?«, unterbrach Henry sie und wandte sich dann entschuldigend an den Schließer: »Wie ein kleines Kind, meine Missis. Ständig muss man auf sie aufpassen, als wär sie nicht bei Trost. Kaum dreht man sich einmal um, schon hat sie sich eingesperrt.« Er schnaufte abfällig und zwinkerte dem Schließer komplizenhaft zu. »Nichts als Scherereien mit den Weibern.«
    »Passt das nächste Mal besser auf Eure Missis auf, Sir«, meinte der Schließer, lächelte nachsichtig und öffnete schließlich die Gittertür. »Sonst landet sie wirklich noch mal in der Todeszelle.«
    »Wär nicht schade drum«, fauchte Henry, fasste Bess grob am Handgelenk und zerrte sie hinter sich her. »Und jetzt raus mit dir!«
    »Was ist denn hier schon wieder los?« Der Kerkermeister stand plötzlich vor ihnen, den hölzernen Prügel noch in der Hand, und versperrte ihnen den Weg. »Wie ist Euer Name, Sir?«
    Henry verneigte sich, überlegte kurz und sagte: »Captain Macheath, Sir!«
    »Und warum schreit Ihr so, Captain?« Mr. Pitt schaute Henry abschätzig von oben bis unten an, und sein Blick blieb an der schäbigen Kleidung und den nackten Füßen haften. »Was geht hier vor? Was wollt Ihr von der Frau?«
    »Verdammte Weiber«, knurrte Henry und wusste plötzlich nicht mehr weiter. »Sie hat … Ich wollte …« Er hatte den Faden verloren und ahnte, dass er beim Kerkermeister mit einer plumpen Lüge nicht durchkommen würde. Er öffnete den Mund, aber kein Ton kam ihm über die Lippen. Nichts! Blackout! Dann jedoch erinnerte er sich mit einem Mal an einen Spruch seines Improvisations-Lehrers an der Theaterschule: »Wenn du keine Ahnung hast, was du sagen sollst, dann mach etwas Unerwartetes! Überrumple das Publikum!« Und deshalb fuhr Henry auf dem Fuß herum, gab der völlig überraschten Bess eine schallende Ohrfeige, sodass sie nach hinten taumelte und beinahe rücklings zu Boden ging.
    »Mach das nie wieder!«, rief Henry und holte erneut aus.
    »He, sachte!«, sagte Mr. Pitt und griff ihm in den Arm. »Kein Grund, gleich so rabiat zu werden, Captain Macheath.« Er zögerte einen Augenblick und befahl dann: »Nehmt Eure Missis und schert Euch weg!«
    Henry murmelte etwas Unverständliches, starrte zu Boden und zog Bess hinter sich her zum Ausgang. Die beiden Wärter standen immer noch in der Tür und schauten sich verwundert an.
    »Sind denn heute alle verrückt geworden?«, fragte einer der beiden.
    »Scheint so«, meinte der andere. »Dabei ist nicht mal Vollmond.«
    Als sie auf der Straße waren und die schwere Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, riss Bess sich los, strich sich über das Kleid, als hätte sie sich beschmutzt, und richtete ihren Hut auf dem Kopf. Dann rannte sie plötzlich westwärts durchs Stadttor hinaus. Henry atmete tief durch, schaute sich um und erkannte, dass von den anderen Gaunern niemand mehr da war. Vermutlich waren sie mit der Kutsche gefahren, die Blueskin hatte besorgen wollen. Henry rannte ebenfalls durchs Tor und sah gerade noch, dass Bess linker Hand in eine schmale Gasse einbog und am alten Gerichtsgebäude von Old Bailey vorbeihastete. Jedenfalls vermutete er, dass es sich um das Old Bailey handelte, weil das Gebäude am selben Ort stand. Rein äußerlich hatte der Gerichtshof allerdings nichts mit dem heutigen Gebäude gemein und erinnerte eher an eine Markthalle mit umzäuntem Vorplatz. Henry hatte Mühe, Bess zu folgen, denn seine nackten Füße taten ihm weh, und ihn plagte heftiges Seitenstechen. Von dem

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