Gegen alle Zeit
Maestro Pepusch.
Henry lächelte vielsagend und wiederholte seine Frage: »Wie heißt es?«
»Theater der Diebe«, erklärte Mr. Gay stolz und reichte ihm die Kleider.
Henry schluckte und schüttelte den Kopf.
»Gefällt Euch der Titel nicht?«, fragte Maestro Pepusch pikiert.
Wieder schüttelte Henry den Kopf. »Klingt langweilig«, sagte er, während er sich das Hemd über den Kopf zog. »Nicht dramatisch genug. Wie wäre es mit einem etwas spannenderen und geheimnisvolleren Titel?«
»Zum Beispiel?«, wollte Mr. Gay wissen.
Henry tat so, als müsste er überlegen. »Ich weiß nicht. Vielleicht ›Des Bettlers Oper‹ oder etwas in der Art?«, fragte er und zog seine zerrissene und vor Schmutz starrende Hose aus.
»Aber es ist keine Oper«, meinte Maestro Pepusch. »Es gibt keine Rezitative.«
»Vor allem gibt es keinen Bettler«, fügte Mr. Gay geringschätzig hinzu.
»Dann lasst den Bettler zu Beginn als Dichter des Stücks auf die Bühne treten und sich beim Publikum entschuldigen!« Henry schlüpfte in die Hose und das Hemd, die Mr. Gay ihm gereicht hatte, und erinnerte sich im letzten Augenblick an die Speicherkarte seines Handys, die er in der alten Hose verstaut hatte. Er steckte sie ein und ärgerte sich zugleich, dass er Sarahs Ring nicht mehr besaß. Der Wärter Bernie hatte ihn geklaut. In Liebe Henry.
»Wofür soll der Bettler sich entschuldigen?«, fragte Mr. Gay.
»Dass es gar keine Oper ist«, lachte Henry. »Und dass die Rezitative fehlen.«
»Wollt Ihr uns auf den Arm nehmen?«, rief Maestro Pepusch zornig. »Ein Bettler als Dichter und eine Oper, die keine ist! So was hat’s ja noch nie gegeben!«
»Ebendrum«, antwortete Henry und zog als Letztes die leinene Joppe an, die ihm unter den Achseln zwar etwas zu eng war, aber wenigstens nicht nach Schweiß und Blut stank. »Denkt darüber nach!«
»Ihr seid ein seltsamer Vogel, Captain«, sagte Mr. Gay mit nachdenklichem Gesicht. »Aber was Ihr sagt, ist gar nicht dumm. Jedenfalls originell.«
»John!«, empörte sich Maestro Pepusch. »Wir machen uns ja lächerlich!«
»Nein«, entgegnete der Dichter und setzte eine Ballonmütze auf seine Glatze. »Wir machen die Oper deines Freundes Händel lächerlich.«
»Er ist nicht mein Freund«, sagte Maestro Pepusch mürrisch.
Mr. Gay lachte, schnappte sich eine schwarze Mantille, warf sie sich um die Schultern und öffnete Henry die Tür. »Nach Euch, Captain.«
»Ihr wollt ebenfalls gehen?«
»Allerdings«, antwortete Mr. Gay grinsend. »Und zwar mit Euch.«
10
Als Henry das letzte Mal den Wine Court in der Fleet Street betreten hatte, war der gesamte Hof mit neugierig drängelnden Menschen gefüllt gewesen, und der Leichnam eines Mannes war auf einen Pferdekarren gelegt worden, bewacht von einem kleinen Mann mit Dreispitz und Schwert. Das war der Tag gewesen, an dem Henry den Diebesfänger Jonathan Wild zum ersten Mal gesehen hatte. Den Anblick der vernarbten Gaunervisage würde er gewiss so bald nicht vergessen.
Wie anders wirkte der Hof an diesem Montagmorgen. Friedlich und verschlafen lag der Wine Court in der Herbstsonne, das Wirtshaus Ye Olde Cheshire Cheese war zwar geöffnet, doch durch die Fenster konnte Henry nur wenige Gäste im Inneren sehen. Er deutete zu dem Holzschild mit der Feder und dem Buch, das über dem Eingang hing, und führte Mr. Gay zum Hintereingang im Hof.
»Die Druckerei ist im zweiten Stock«, sagte Henry.
»Ich weiß«, antwortete der Dichter und folgte ihm die schmale Treppe hinauf. »Ich kenne Mr. Wilkins. Er hat vor einigen Jahren eines meiner Theaterstücke gedruckt. Ich schulde ihm noch Geld dafür.«
»Sollte es nicht andersherum sein?«, wunderte sich Henry.
»Mr. Wilkins hat die Bücher nur gedruckt«, antwortete Mr. Gay achselzuckend. »Verkauft hat sie ein Buchhändler in Cheapside, der leider spurlos verschwunden ist. Und mit ihm die Kasse.« Er lachte gallig und klopfte an die Tür der Druckerei.
Ein Lehrling im Graukittel öffnete, verbeugte sich und ließ sie hinein. Offensichtlich kannte er Mr. Gay, bat um etwas Geduld und eilte fort, um seinen Meister zu holen.
»Mein lieber Mr. Gay«, ertönte kurz darauf die Stimme des Druckers. »Was führt Euch zu mir? Kommt Ihr, um Eure Rechnung zu begleichen?«
»Mein lieber Master Wilkins«, antwortete Mr. Gay spöttisch und neigte den Kopf. »Ich bedaure zutiefst, Euch noch eine kleine Weile vertrösten zu müssen. Mein Geld schippert nach wie vor in der Südsee und findet
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