Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)
dem Verlauf unseres Gesprächs. Reden wir nicht zu sehr über die Zukunft und zu wenig über die Vergangenheit?
FISCHER Mir macht die Zukunft, und zwar die nähere Zukunft, im Moment halt mehr Sorgen als die Vergangenheit.
STERN Da ist was dran. Aber wie die Vergangenheit verstanden wird, ist ja immer noch wichtig. Auch für die Gestaltung der Zukunft. Europa war schließlich einmal eine große Idee.
IV Von 68 zu Rot-Grün
STERN In Vorbereitung auf unsere Gespräche habe ich die beiden Bände Ihrer Erinnerungen gelesen. Und da fiel mir auf, dass Sie sehr häufig die Begriffe Vizekanzler oder stellvertretender Ministerpräsident benutzen, statt Außenminister oder Umweltminister zu schreiben. Das Wort Vize scheint Ihnen sehr wichtig zu sein, manchmal kehren Sie sogar die Reihenfolge um und reden von sich als Vizekanzler und Außenminister.
FISCHER Der Vize ist scheinbar nur ein Nominaltitel, in einem Koalitionssystem dennoch von Bedeutung. Ich schreibe in meinen Erinnerungen zum größten Teil als Außenminister über Außenpolitik. Aber die Steuerungsachse der rot-grünen Koalition waren Schröder und Fischer nicht nur in internationalen Konflikten, sondern auch in allen anderen Regierungsgeschäften, und da war der Vizekanzler gefragt. Was hatte ich nicht alles mit den Sozialreformen, mit der gesamten Innenpolitik, den vielen Koalitionsdifferenzen zu tun. Wenn Sie also wissen wollen, wie wichtig mir diese Position war, kann ich Ihnen gerne antworten: Wichtig wegen der Frage der Augenhöhe, es war keine Prestigefrage für mich. Ich war immer sehr machtbewusst, was meine eigene Person betraf, und diese Haltung gründete auf Erfahrung. Bevor ich also eine Entscheidung traf – und das galt sowohl in der eigenen Partei als auch in der Koalition –, musste für mich völlig klar sein, zu welchen Bedingungen ich das mache. Und für mich war auch klar, dass ich es lassen würde, wenn ich diese Bedingungen nicht bekäme.
STERN So wie Oskar Lafontaine, nur haben Sie mehr Erfolg gehabt.
FISCHER Nein, nein, nein. Ich bin nie davon gelaufen! Und wenn ich die Absicht gehabt hätte, hätte ich es von vornherein gesagt und begründet. Klaus Kinkel und andere wollten die SPD 1998 ja überzeugen, dass ich nicht Außenminister werden könne, so einen Kerl könne man doch nicht zum Außenminister machen, hieß es. Und da habe ich dem damaligen SPD-Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine klar gesagt, das könnt ihr machen, Rot-Grün wird es dann dennoch geben, aber mich gibt es dann nicht in der Regierung, das müsst ihr wissen. Das war für mich aus Gründen der Machtbalance nicht verhandelbar. Ich habe vieles ertragen, erduldet und mitgemacht, aber immer zu Bedingungen, die ich für vertretbar hielt. In Bielefeld – das war der Parteitag, auf dem es um den Kosovoeinsatz ging, ziemlich turbulent – war von vornherein völlig klar, im Moment, wo ich die Mehrheit verliere, stehe ich auf, bitte um das Wort, gehe ans Mikrofon und sage, dass ich mit sofortiger Wirkung zurücktrete von allen meinen Ämtern, und dass ich noch einen guten Tag wünsche. Dazu war ich entschlossen, da war ich mit mir im Reinen.
STERN Wie kriegt man ein solches Machtbewusstsein?
FISCHER Ich bin durch eine harte Schule gegangen. Ich glaube, in meiner Generation …
STERN Aber nicht alle lernen aus einer harten Schule.
FISCHER Ja, aber offensichtlich bin ich für die Methode Dr. Eisenbart wirklich geeignet als Schüler – ganz im Gegensatz zu meiner offiziellen Schulzeit. Bei den Grünen habe ich mich durchgesetzt durch Niederlagen, nicht durch Siege. Die schlimmste Zeit war die erste rot-grüne Koalition in Hessen, von 1985 bis 1987, das war furchtbar, in der Zeit bin ich richtig alt geworden. Die Partei war gegen mich – nicht die hessische, aber die Bundespartei –, die Medien waren gegen mich, die SPD war nicht für mich, die Opposition, angeführt von Herrn Kanther, war heftig gegen mich – und ich hatte keine Ahnung vom Regieren, ich hatte keine Ahnung von Umweltpolitik. Der Koalitionsvertrag war ganz schlecht verhandelt, was den Grünen nicht vorzuwerfen ist, es war das erste Mal. Ich hatte kaum Zuständigkeiten, ehrlich gesagt, wusste ich damals gar nicht, was Zuständigkeiten sind. Nach 16 Monaten war es vorbei, Gott sei Dank! Ich war so was von fix und alle, aber es war zugleich die Zeit, in der ich am meisten in meinem Leben gelernt habe.
STERN Am meisten gelernt, okay, das
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