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Gegen jede Regel

Gegen jede Regel

Titel: Gegen jede Regel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Stammsen
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konnte unsere
Professionalität zusammenbrechen und wir fanden uns als Menschen unter Menschen
wieder und trauerten um das Schicksal des Opfers.

    Ich legte Nina meine Hand auf die Schulter. Doch das war
gar nicht nötig. Sie hatte ihre eigene Art, Unangenehmes von sich fernzuhalten.
Sie schüttelte sich und sagte: »Es geht schon wieder.«

    Ich musterte sie von der Seite. Und tatsächlich war sie weit
davon entfernt, die Kontrolle zu verlieren wie ich damals als Neuling.

    Â»Wie machst du das?«, fragte ich sie. Um die nötige Distanz
zum Geschehen in einem Fall zu bewahren, versuchte ich es mit Humor. Manchmal gelang
es, aber noch öfter kam es mir unzureichend vor, wie eine Kerze unzureichend
war, um ein Universum aus Dunkelheit zu erleuchten. Es war schwer, den Glauben
an einen übergeordneten Sinn im Leben zu behalten, wenn das Leben eines
Jugendlichen ausgelöscht wurde. Umso mehr, wenn er geliebt wurde und eine
schmerzvolle Lücke hinterließ.

    Nina sagte: »Bei der Sitte lernt man ein paar nützliche
Tricks.«

    Das glaubte ich aufs Wort. »Verrätst du mir die?«

    Sie schüttelte den Kopf. »Das muss jeder selbst herausfinden.«
Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Jessica war vollkommen aufgelöst.
Ganz anders als gestern.«

    Â»Vielleicht hat sie es erst jetzt richtig verstanden.«

    Â»So sah es aus.«

    Â»Es könnte sein, dass sie eine Weile gebraucht hat, bis
ihr klar geworden ist, wie viel ihr die Beziehung zu Tobias wirklich bedeutete.«

    Nina wechselte das Thema: »Jetzt vergessen wir mal die
Alibis. Denk mal an die vier aus der Band. Glaubst du, einer von denen hat
Tobias umgebracht?«

    Ich sah sie vor mir im Probenraum, verloren und desorientiert
ohne Tobias. Ich dachte an Heike und Jan bei der Befragung. »Nein«, sagte ich. »Von
denen hat ihn keiner umgebracht.« Es war eine Sache, einen anderen Menschen zu
hintergehen in einem Alter, in dem das Gehirn in Hormonen schwamm und es kaum
einen Reiz gab, der die Sexualorgane nicht aktivierte. Es war etwas ganz
anderes, einen anderen Menschen zu ermorden.

    Â»Ich glaube es auch nicht.«

    Â»Was hast du von ihnen erfahren?«

    Â»Du meinst, außer wie sehr Jessica Tobias geliebt hat?«

    Â»Ja.«

    Â»Es war nicht so, wie wir vermutet haben. Natalie ist einfach
nur eine gute Freundin.«

    Â»Bist du sicher?«

    Â»Absolut«, sagte Nina.

    Â»Und Jessica?«

    Â»Nur mit Tobias.«

    Â»Anständige Mädchen?«

    Â»So ist es.«

    Â»Mal was Neues.«

    Â»Tobias ist das Zentrum der sexuellen Aktivitäten in der
Band«, stellte Nina fest.

    Ich schloss mich ihrer Einschätzung an. Dann sagte ich: »Bei
den ganzen Partnerwechseln frage ich mich, warum ich nicht auch in einer Band
spiele.«

    Â»Du bist zu alt für eine Teenagerband.«

    Â»Es gibt auch Leute in meinem Alter, die Instrumente
spielen.«

    Â»Promiskuität ist mit dem Alter rückläufig.«

    Â»Mist.«

    Mit diesem Geplänkel hatten wir gleich zwei Kerzen gegen
die Sinnlosigkeit des Todes angezündet.

    Â»Du wirst dir etwas anderes überlegen müssen.«

    Â»Ich gebe die Bandkarriere noch nicht ganz auf. Es gibt
ja noch die Fans.«

    Â»Wenn du viele Frauen im Publikum willst, musst du
Schlager singen. Oder Volksmusik.«

    Â»O Mann.« Ich schaute Nina an. Sie lächelte, und das tat
uns beiden gut. Ich sagte: »Vielleicht bin ich doch ganz gut aufgehoben, wo ich
bin.«

    Bei diesen Worten erschien noch eine weitere Emotion in
Ninas Gesicht, entzog sich aber einer Benennung. »Ja«, sagte sie nur.

    Wir schwiegen eine Weile, als hätten wir gerade eine bedeutende
Feststellung getroffen. »Lass uns weitermachen«, sagte ich, bevor die Stille
unangenehm werden konnte.

    Nina wählte die Nummer von Günter Hirschmann auf ihrem
Handy. Dienstags und donnerstags war der Informatiklehrer nur bis zum Mittag in
der Schule, an den anderen Tagen gab es Informatik-AGs und verschiedene
Projekte. Nina erreichte ihn zu Hause und wir machten uns auf den Weg.

    Â 
    Wir erreichten das Haus in weniger als zehn
Minuten. Günter Hirschmann wohnte in einem etablierten Wohngebiet im Krefelder
Süden und, wie ich feststellte, als wir in seiner Auffahrt hielten, eindeutig repräsentativer
als Familie Maier. Als er uns öffnete, schätzte ich ihn auf Ende dreißig. Vom
Typ her erinnerte er mich an Georg

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