Geh nicht einsam in die Nacht
Sandudden statt. Pete Everi nahm teil, immerhin war er jahrelang mit Eva zusammen gewesen und hatte dadurch auch Adriana kennengelernt. Außerdem habe Eva ihn ausdrücklich gebeten zu kommen, sagte er mir.
Außerdem erzählte mir Pete (ich erfuhr es also vor den Boulevardblättern), dass sowohl der stellvertretende Bildungsminister Jouni Manner als auch der bekannte Popmanager Sten-Erik »Stenka« Waenerberg unter den Trauergästen gewesen waren. Manner war im letzten Moment in einem schwarzen Dienst-Saab eingetroffen und hatte sich in die hinterste Reihe gesetzt. Er hatte seinen Kranz als einer der Letzten niedergelegt. Yhteisten laulujemme muistoksi , »Zur Erinnerung an unsere gemeinsamen Lieder«, lautete der Text auf der Schleife, jedenfalls laut der Illustrierten Hymy . Stenka Waenerberg war noch unscheinbarer geblieben, hatte keinen Kranz niedergelegt, sondern nur regungslos und verschlossen in der vorletzten Reihe gesessen, eine vor Manner.
Das Interesse der Klatschblätter wurde dadurch geweckt – Pete meinte, der Zwischenfall werde in absurder Weise aufgeblasen, es habe sich um ein paar Sätze in einem schneidenden Tonfall gehandelt, mehr nicht –, dass es zwischen Manner und Waenerberg vor der Kirche zu einer Auseinandersetzung kam. Ersterer war zu Letzerem gegangen und hatte ihn angesprochen, und anschließend hatten sich die beiden leise und verbissen unterhalten, bis ihre Stimmen plötzlich laut geworden waren.
»Sie war genauso meine Freundin wie deine!«, hatte Waenerberg gefaucht, und daraufhin hatte Manner ausgesehen, als hätte er den wesentlich kleineren und schon leicht ergrauten Popmanager am liebsten geschlagen. Manner hatte sich jedoch damit begnügt, seinerseits zu fauchen: »Nie und nimmer! Jedenfalls finde ich, du solltest den Kaffee auslassen, Stenka!«, hatte er gesagt und Waenerberg den Rücken zugekehrt, und damit hatte sich die Sache erledigt.
Pete meinte, Waenerberg sei nicht zum Leichenschmaus erschienen. Manner war gekommen und etwa fünf Minuten geblieben, hatte Göran, Catherine und Eva die Hand geschüttelt, ihnen sein Beileid bekundet, schnell eine Tasse Kaffee getrunken und war gefahren. Dass sich die Regenbogenpresse so für das kleine Drama interessierte, mochte Pete zufolge daran liegen, dass Jouni Manner ohnehin schon im Rampenlicht stand. Er hatte sich erst vor kurzem wegen eigener Untreue scheiden lassen und kurz darauf seine bisherige Geliebte geheiratet. Dagegen hatte Pete keine Ahnung, wer den Vorfall der Presse gesteckt hatte, denn es waren nur Freunde und Verwandte in der Kirche gewesen, keine Journalisten.
Die Manner-Waenerberg-Affäre lebte eine knappe Woche. Sie gelangte von den Boulevardblättern in die Tageszeitungen und führte zu einer Reihe spektakulärer Schlagzeilen, bevor sie im Sande verlief. »Was machte der Minister auf der Beerdigung des mysteriös umgekommenen Ex-Starlets?«, lautete eine Schlagzeile. »Der Minister und Pop-Stenka in einem Streit auf Leben und Tod« eine andere und weniger zutreffende. Doch das Gesangstrio Joni, Ariel & Adriana war so unbekannt, ihre Tourneen und die Platte, die sie aufgenommen hatten, waren so vergessen, dass keiner der sonst so gewieften Boulevardjournalisten die Verbindung zwischen Jouni Manner und Stenka Waenerberg fand.
* * *
Eva Mansnerus hielt sich fast den ganzen Sommer fern. Als wir schließlich wieder voneinander hörten, fragte ich sie nicht, wo sie gewesen war. In Petes Gesellschaft war sie jedenfalls nicht gewesen, denn das hätte ich gewusst. Pete und ich trafen uns manchmal, weil Pete seinen Umzug nach Tammerfors vorbereitete und in Feierlaune war.
Es war damals so leicht zu verschwinden. Zehn, zwanzig, fünfzig Kilometer reichten völlig. Wer wollte, konnte sich selbst in seiner Heimatstadt zurückziehen. Ein junger Mensch, der in seine erste eigene Wohnung zog, konnte sich nicht unbedingt ein Telefon leisten. Vielleicht fand man es auch nicht so wichtig, eins zu haben. Außerdem gab es keine Handys, kein Skype, keine E-Mail, kein MSN und keine sozialen Medien. Mit Ausnahme der NASA und der Technischen Hochschule in Otnäs und ähnlichen Orten hatte auch keiner Computer. Wer zu einer längeren Reise aufbrach, blieb unerreichbar, poste restante lautete die einzige – und äußerst unzuverlässige – Möglichkeit, den Reisenden zu erreichen. Wir akzeptierten diese Unerreichbarkeit, keiner fand sie seltsam. »Tja, er ist wohl irgendwo auf großer Reise«, sagte man. »Sie schreibt bestimmt
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