Geh nicht einsam in die Nacht
betrunken und feuergefährlich waren, stattdessen ihre Nägel in meinem Rücken, stattdessen ihre anderen Worte:
»Oh, mein Gott. Das gibt es nicht. Dieses Gefühl gibt es nicht.«
Und ich: »Aber wir fühlen es doch.«
Und trotzdem, als ich am Vormittag die Elisabetsgatan hinunterging und den Schal vors Gesicht zog, um mich vor dem eisigen Wind zu schützen, begriff ich es zum ersten Mal und wagte auch, es mir einzugestehen:
Ich würde sie niemals bekommen.
Ich würde sie immer lieben.
9
MEINE SCHWARZEN JAHRE fielen in die Zeit von Jouni Manners zweiter Karriere, es war eine Ironie des Schicksals, aber so ergab es sich.
Meine schwarzen Jahre fielen darüber hinaus in die Phase, in der Eva Mansnerus und Pete Everi von der Pflicht aufgesogen wurden, für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Pete hatte vier und Eva nur eins, aber in meinen Augen war der Unterschied nicht sonderlich groß. Wenn ich sie traf, berichteten sie von ihrem strebsamen Leben, und ihre Gesichter und Körper illustrierten ihre Worte.
Pete wurde immer kahlköpfiger und unzufriedener mit der Gesellschaft und der Gegenwart, und seine ungesunde Rundlichkeit nahm zu. Zu der Zeit konnten wir uns nicht einmal mehr dazu aufraffen, Badminton zu spielen, stattdessen gingen wir bei unseren seltenen Begegnungen schnurstracks in eine Kneipe und tranken Bier, und Petes Bauch schien von Monat zu Monat dicker zu werden.
Eva sah so schlank und durchtrainiert aus wie immer und schien ihr Leben so souverän im Griff zu haben wie eh und je, aber in ihrer Haltung gab es einen Zug von Müdigkeit und Missmut. Sie war noch keine fünfunddreißig, hatte jedoch Krähenfüße um die Augen, und ihre Mundwinkel zeigten in einer Weise nach unten, die an Petes erinnerte. Sie sprach oft davon, wie leid sie es war, Kunstkritiken zu schreiben und an Gymnasien zu unterrichten, aber ihr blieb keine andere Wahl. Ihr Forschungsprojekt war zu langsam vorangekommen, so dass sie keine Stipendien mehr erhielt, und gleichzeitig war sie viel zu stolz, um sich an Göran und Catherine zu wenden, vor denen sie ihre prekäre Lage seit vielen Jahren verborgen hielt.
In dieser Zeit steckte das Land in einer Wirtschaftskrise, fünfzig Milliarden finnische Mark aus Steuergeldern waren erforderlich, um jene Banken zu retten, die nur wenige Jahre zuvor Kleinanleger mit offener Verachtung gestraft hatten. Hinterher sollte sich herausstellen, dass die Krise schlimmer gewesen war, als das Volk gewusst hatte, mit etwas Pech hätte es so kommen können wie in Argentinien zehn Jahre später: Ganz Finnland hätte in Konkurs gehen können. Bei all ihrer Verbitterung und Müdigkeit gehörten Menschen wie Pete Everi und Eva Mansnerus trotz allem zu den Helden des Alltags, die weitermachten und so dazu beitrugen, ihrem Vaterland aus der Bredouille zu helfen. Ich, der ich nur trank und mit jedem neuen Jahr ein immer unproduktiverer Journalist und Künstler wurde, erschien im Vergleich zu ihnen wie ein Taugenichts.
Wenn die Kritiker meine Bücher lobten, was sie immer seltener taten, schrieben sie manchmal, ich hätte ein »seismographisches Gespür für die Gegenwart«. Es mag nach diesem Gespür für die Gegenwart aussehen, dass die Zeit meines Niedergangs – »deine erbärmliche Regression zum Rotzlöffelstadium«, sollte Eva Mansnerus sie hinterher nennen – mit dieser schweren Wirtschaftskrise zusammenfiel. Aber was absichtsvoll erscheint, ist oft reiner Zufall. Und so war es auch jetzt. Dass ich immer mehr verkam, hatte höchst private Gründe, die weder mit der Gegenwart noch der Gesellschaft zusammenhingen.
Der mit Abstand wichtigste Grund:
An einem schönen Septemberabend verlor Osmo Rainio auf der Strecke zwischen Jyväskylä und Keuruu die Kontrolle über seinen Volvo und kam von der Straße ab. Der Unfall ereignete sich in einem Waldstück und endete in einem Frontalzusammenstoß mit einer mächtigen Kiefer. Osmo und meine Mutter Leeni, die auf dem Beifahrersitz saß, waren bereits tot, als Polizei und Notarzt die Unglücksstelle erreichten. Die beiden waren auf dem Weg zu einem Freund Osmos gewesen.
Laut Polizeibericht war die Straße in einem perfekten Zustand, aber die Bremsspuren ließen darauf schließen, dass Osmo sehr schnell gefahren und dann zu einer Vollbremsung gezwungen worden war. Kurz hinter der Unfallstelle fand man beidseits der Straße Elchspuren. Am wahrscheinlichsten erschien deshalb, dass Osmo, der im Gegenlicht fuhr, zu einem Bremsmanöver mit nachfolgendem
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