Geh nicht einsam in die Nacht
war verletzlich, sie sah in allen nur das Gute, und Jouni befürchtete, dass sie einer scharfen Persönlichkeit begegnen könnte, an der sie sich schneiden würde, jemandem wie ihm. Er hätte ihr gerne gesagt, dass die Menschen so waren: gefährlich und scharf. Er hätte ihr gerne davon erzählt, wie er zu lernen versuchte, seine eigene Schärfe zu neutralisieren, sie hinter einer höflichen, wohlwollenden Hülle zu verbergen. Aber über solche Dinge zu sprechen war schwierig.
Adriana war bereits durch den Raum geeilt und hatte sich zu Karnow gesellt. Jouni sah die beiden in einem angrenzenden Zimmer verschwinden, er sah Adriana eifrig reden. Er selbst fühlte sich bleischwer und blieb mit Ariel, der sich sein drittes Glas Likörwein einschenkte, in der Zimmerecke stehen: Es wurde immer schwieriger, sich mit ihm zu unterhalten. Plötzlich – Jouni verstand nicht wieso – kehrte sein grüblerischer Gemütszustand vom Nachmittag wieder zurück. Vielleicht lag es am Dämmerungslicht in Stenkas Wohnung, vielleicht an Nowhere Man , das aus den Boxen strömte, vielleicht an einem anderen, unbekannten Faktor: Jedenfalls sah er erneut Bilder, gute und böse, genau wie im Studio, und eine strenge Hand packte sein Herz, und er wandte sich Ariel zu und sagte:
»Ich habe es ja auch getan, das weiß ich.«
Ariel hörte auf, Wein zu schlürfen, blickte auf und sah Jouni unter seiner Tolle an.
»Wassen getan?«, lallte er. Sein Kopf hüpfte beim Sprechen bedenklich auf und ab.
»Dich einen Troll und schwul genannt«, antwortete Jouni. »Hast du heute eigentlich schon irgendetwas zu dir genommen? Außer diesen Pillen, meine ich?«
Ariel machte ein Gesicht, das vermutlich listig wirken sollte, ihn aber eher irre aussehen ließ. »Was denn für Pillen? Was laberst du denn da für einen Sch-Sch-Scheiß?«, murmelte er undeutlich.
»Vergiss es«, sagte Jouni ungeduldig. »Ich weiß, dass du heute Morgen etwas genommen hast, du warst doch total weggetreten, als du ins Studio gekommen bist. Also, wie sieht es aus, hast du nun was gemampft oder nicht?«
» Soromnoo! «, rief Ariel plötzlich in den Raum hinein, »das interessiert mich einen Scheißdreck!«
»Verdammt, du gehst einem wirklich auf die Nerven«, sagte Jouni. Er zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nur sagen, dass ich dir nie gesagt habe, wie leid es mir tut, dass ich dich damals verprügelt habe, als wir uns noch nicht kannten. Aber das tue ich jetzt. Du bist ein guter Mensch und hast ein verdammt gutes Lied geschrieben, und ich war damals ein Idiot, als ich dir eine geknallt habe. Also, Entschuldigung.«
Ariel blickte erneut auf. Für einen kurzen Moment schien er nüchtern geworden zu sein, als wären die Worte tatsächlich zu ihm vorgedrungen. » Soromnoo «, versuchte er es noch einmal, aber diesmal lag keine Überzeugung in dem Wort, er brachte nur ein Flüstern heraus. Umständlich erhob er sich von der Couch, auf der er gesessen hatte, und umfasste Jounis Schulter. »Stell dir vor, Jouni«, sagte er, »hättest du gedacht, dass wir eines Tages in derselben Band s-singen würden?« Er taumelte, fing sich wieder und fuhr fort: »Hast du gesehen, was Addi getan hat?«
»Wann getan hat?«, fragte Jouni und sah sich instinktiv nach Adriana um.
»Als Untamo Tuomi meinte, dass er mein Lied mit Streichern unterlegen will«, sagte Ariel und lallte jetzt wieder. »Sie hat mich genommen und g-geküsst, hast du das gesehen?«
»Das hat sie nicht«, entgegnete Jouni, »sie hat nur ihre Wange an deine gelegt.«
» Soromnoo! «, krakeelte er wieder. »Das spielt keine Rolle. Addi ist meine Königin! Als sie mich geküsst hat, ist mein Puls auf mindestens zweihundert hoch. Entschuldige, ich muss …«
Ariel verstummte mitten im Satz, stieß Jouni zur Seite und torkelte quer durchs Zimmer zum Flur, wo eine der beiden Toiletten lag. Als er davontaumelte, hielt er sich die Hand vor den Mund, und Jouni hoffte, dass er es noch rechtzeitig in die Toilette schaffen würde. Mehr konnte er nicht denken, denn im selben Moment spürte er ein aufforderndes Klopfen auf seiner Schulter. Er wandte sich um und stand Auge in Auge mit einem schwarzbärtigen Mann, der fast genauso groß war wie er selbst. Der Schwarzbärtige war älter als Jouni, vielleicht fünfunddreißig oder auch vierzig, trug einen maßgeschneiderten, hellen Anzug, hatte jedoch seine Krawatte ausgezogen und den obersten Hemdknopf geöffnet und sagte:
»Sie sind Jouni Manner, nicht wahr? Ich habe darauf gewartet,
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