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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Fläschchen und Döschen mit Nagellack und Lidschatten und Mascara verrieten, dass es sich anders verhielt: Diese Fläschchen und Döschen lagen überall in der Wohnung verstreut, sie standen häufig offen, und wenn sich Gäste setzten, ohne sich vorzusehen, erlebten sie nicht selten eine unangenehme Überraschung.
    Adriana mietete die Wohnung von einem Geschäftsfreund Stenkas und war deshalb unabhängig von ihren Eltern: In den Jahren, die sie dort wohnte, lud sie Catherine oder Göran nie zu sich ein. Ihre kleine Schwester Eva, die zur Zeit ihres Umzugs neun war, kam dagegen manchmal zu Besuch. Vielleicht lag es am Altersunterschied, jedenfalls gestaltete sich der Kontakt der Geschwister recht wortkarg, manchmal stellte Adriana schlichte Fragen zur Schule und den Freunden oder dazu, wie es Catherine und Göran ging, manchmal half sie Eva bei den Hausaufgaben, aber meistens saßen sie nur schweigend zusammen, tranken Saft und hörten Radio, wenn gerade Sendungen mit Pop- und Rockmusik liefen.
    Je öfter Adriana von Sam Karnow und anderen fotografiert wurde, je öfter sie in Zeitungen wie Nya Pressen und Helsingin Sanomat und in den Werbekampagnen diverser Firmen und Konfektionswareherstellern auftauchte, desto eigenartiger fühlte sie sich. Sie sah auf diesen Aufnahmen großartig aus, in dem Punkt waren sich alle einig, sie sah immer großartig aus und strahlte auf Dutzende verschiedene Arten, vor der Kamera war sie ein Chamäleon, sie war formbar, sie streckte sich nach dem Unmöglichen, sie enttäuschte nie. Sie war ein anständiges Mädchen von nebenan, eine mondäne Schönheit, ein käuflicher Vamp, sie drückte auf ihre inneren Knöpfe und strahlte Unschuld, List, Verführerisches, Kühle oder Arroganz aus: Sie lieferte, was man von ihr begehrte. Aber es war, als hätte ihre Fähigkeit, gut auszusehen und gleichzeitig sehr verschiedene Dinge zu signalisieren, sie innerlich aufgezehrt, denn wenn sie abends in ihre Wohnung zurückkehrte, gab es keine Adriana Mansnerus mehr, an die sie sich halten konnte, es existierte nur noch eine gehetzte Schale, die erst das Radio und danach den Fernseher einschaltete – sie hatte ihn am Tag ihres Einzugs gekauft –, gleichzeitig jedoch nach dem Telefonhörer griff und anfing, Freunde und Bekannte anzurufen und sie zu fragen, ob sie ausgehen wollten. Sie wurde in ihrer Wohnung so rastlos, es kribbelte in ihr, sie schlief lieber bei Stenka. Und dabei war Stenka nicht mehr wie früher, ganz und gar nicht: In seiner Wohnung konnte mittlerweile alles Mögliche passieren, alle möglichen Dinge, mit denen sie nicht gerechnet hatte und die sie nicht wollte. Aber dort fiel ihr nicht die Decke auf den Kopf wie in der Smedsgatan. Und sie wusste natürlich, warum Stenka so distanziert war, es war ja alles ihre Schuld. Sie hatte auf ihn eingeredet, ihn halbwegs gezwungen, die Schauspielerin zu verlassen, die er kennengelernt hatte, als sie selbst verreist war. Er hatte es getan, er war zu ihr zurückgekehrt, aber das war wohl trotzdem ein Fehler gewesen, denn er war so kalt geworden und manchmal fast bösartig, er sprach nie mehr über ihr großes Stimmvolumen oder ihre kommende Solokarriere, und Adriana erinnerte sich kaum noch an das Frühjahr, in dem sie nackt auf Stenkas Bettkante gesessen hatte, während seine Lippen und seine Zunge über ihren Körper wanderten, diese Erinnerungen schienen einem anderen Leben zu entstammen, wie zärtlich und behutsam, aber doch mit unmissverständlichem Begehren er sie berührt hatte. Heute tat er nichts dergleichen, heute küsste er sie kaum noch, stattdessen schlug er seltsame Dinge vor, die sie manchmal tat und manchmal nicht und nie genoss. Und weil das alles so war, zu Hause bei ihr und bei Stenka, war es nur allzu leicht, die Nächte außer Haus zu verbringen. Als Erstes ging man zum Pop-Keller oder ins Natsa oder zu einer der Diskotheken, die inzwischen an verschiedenen Stellen in der Stadt aufmachten: Wenn man wild genug tanzte, vergaß man rasch alle Sorgen, außerdem gab es immer jemanden, der eine Flasche hatte oder einen zu einem Drink einladen wollte, und so vergingen die Stunden, und am Ende landete man im M-Club oder im Red Room draußen in Munksnäs, und von dort aus ging es nicht selten noch in das Haus oder in die Wohnung von irgendwem. Und angesichts eines solchen Lebenswandels fehlte es einem natürlich an der nötigen Konzentration auf die Bücher in Theaterwissenschaft und Hermeneutik und fernöstlicher Philosophie, und mit

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