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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Bauch, dann schaute sie mich an. Kaum hörbar flüsterte sie: »Aber Mädchen … Mädchen werden verschont.«
    Die Tür wurde aufgerissen, und Nancy stürzte herein, gefolgt von einem hageren Mann in mittleren Jahren, von dem ich annahm, dass es sich um den Arzt handelte. Aber es war nicht Doktor Arthur aus dem Dorf. Kissen wurden aufgeschüttelt, Jemima wurde zurechtgerückt, und eine Lampe wurde angezündet. Irgendwann merkte ich, dass Jemima meine Hand losgelassen hatte. Im nächsten Augenblick wurde ich zur Seite geschoben und aus dem Zimmer geschickt.
    Den ganzen Nachmittag und bis in den Abend hinein wartete und hoffte ich. Obwohl viel zu tun war, wollte die Zeit einfach nicht vergehen. Das Abendessen musste aufgetragen werden, die Bettdecken waren aufzuschlagen und Wäsche für den nächsten Tag musste zurechtgelegt werden. Doch während der ganzen Zeit konnte ich nur an Jemima denken.
    Endlich, als der letzte Schimmer Sonnenlicht hinter dem Hügel verschwunden war, kam Nancy die Treppe heruntergelaufen, in der Hand die Schüssel und das Handtuch.
    Wir hatten gerade zu Abend gegessen und saßen noch am Tisch.
    »Nun?«, fragte Mrs Townsend, ein Taschentuch ängstlich an die Brust gedrückt.
    »Nun«, sagte Nancy, während sie die Schüssel mit dem Handtuch auf der Küchenbank abstellte. Dann
drehte sie sich um, vergeblich bemüht, ein Lächeln zu unterdrücken. »Um acht Uhr sechsundzwanzig wurde die Mutter von ihrem Kind entbunden. Klein, aber gesund. «
    Ich wartete mit klopfendem Herzen.
    »Trotzdem tut sie mir ein bisschen leid«, fuhr Nancy fort und hob die Brauen. »Es ist ein Mädchen.«
     
    Es war zehn Uhr, als ich mit dem Geschirr von Jemimas Abendessen in die Küche zurückkehrte. Sie war eingeschlafen, die kleine Gytha in den Armen. Bevor ich die Nachttischlampe gelöscht hatte, war ich noch einen Moment stehen geblieben, um das winzige Mädchen zu betrachten: gekräuselte Lippen, flaumiges, rötlich blondes Haar, fest geschlossene Augen. Kein Erbe, aber ein Baby, das leben, erwachsen werden und lieben und vielleicht eines Tages selbst Kinder haben würde.
    Mit dem Tablett in der Hand schlich ich mich aus dem Zimmer. Meine Lampe, die einzige Lichtquelle im Korridor, warf lange Schatten auf die Porträts an den Wänden. Während das jüngste Familienmitglied hinter der geschlossenen Tür tief und fest schlief, hielten die verstorbenen Hartfords Wache und blickten stumm in die Eingangshalle hinunter, die sie einst besessen hatten.
    Unten angekommen entdeckte ich einen schmalen Lichtstreifen unter der Tür zum Salon. Über dem Drama des Abends hatte Mr Hamilton wohl vergessen, das Licht zu löschen. Ich dankte Gott dafür, dass ich diejenige war, der es auffiel. Obwohl mit einem neuen Enkel gesegnet, hätte Lady Violet sich fürchterlich aufgeregt, wenn sie entdeckt hätte, dass die Trauervorschriften vernachlässigt wurden.
    Ich öffnete die Tür und blieb wie angewurzelt stehen.

    Dort, im Sessel seines Vaters, saß Mr Frederick. Der neue Lord Ashbury.
    Er hatte die langen Beine übereinandergeschlagen und den Kopf in die Hand gestützt, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war.
    In seiner linken Hand, erkennbar an der schwarzen Zeichnung, hielt er Davids Brief. Den Brief, den Hannah am Brunnen vorgelesen und der Emmeline so zum Kichern gebracht hatte.
    Mr Fredericks Rücken bebte, und zuerst dachte ich, er würde auch lachen.
    Dann hörte ich das Geräusch, das ich bis heute nicht vergessen habe: ein kehliges Schluchzen, voller Verzweiflung und Reue.
    Einen Moment lang konnte ich mich nicht rühren, dann zog ich mich leise zurück. Schloss die Tür, um nicht länger eine heimliche Zeugin seines Kummers zu sein.
     
    Es klopft an der Tür, und ich bin mit einem Schlag zurück in der Gegenwart. Es ist 1999, und ich befinde mich in meinem Zimmer in Heathview, das Foto mit unseren ernsten, ahnungslosen Gesichtern immer noch in der Hand. Die junge Schauspielerin sitzt in dem braunen Sessel und betrachtet prüfend ihre Haarspitzen. Wie lange bin ich fort gewesen? Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist kurz nach zehn. Ist es möglich? Kann es sein, dass der Boden der Erinnerung sich aufgetan hat, dass alte Szenen und Geister auferstanden sind und darüber keine Zeit vergangen ist?
    Die Tür geht auf, Ursula kommt herein und gleich hinter ihr Sylvia mit drei Teetassen auf einem silbernen Tablett. Etwas vornehmer als das sonst übliche Plastik.

    »Es tut mir so leid«, sagt Ursula und nimmt ihren Platz

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