Geheimnis einer Wuestennacht
Sanddünen hindurchzufliegen â¦
âSehen Sie?â Annalisas Stimme kippte fast über vor Begeisterung. Gleich würde der Komet im Ganzen zu sehen sein. Bisher konnte sie nur seinen Schweif ausmachen. âMein Vater hat doch recht gehabt!â Stolz und Wehmut schnürten ihr die Kehle zu.
âIch sehe â¦â, murmelte Tahir eher zurückhaltend und schaute bereitwillig durchs Teleskop.
So handzahm zeigte er sich schon die ganze Zeit über, seit er aus dem Zelt nach drauÃen gekommen war. Annalisa hatte ihn nicht wecken wollen, weil sie wusste, wie sehr er den Schlaf für die Heilung benötigte. Doch dann erschien er irgendwann aus eigenem Antrieb und gesellte sich ruhig zu ihr.
Sie hatte sich darüber gefreut. Einmal, dass sie diesen besonderen Moment mit jemandem teilen konnte, und dann noch ganz speziell darüber, dass es Tahir war.
âGratuliereâ, sagte er freundlich und lächelte ihr zu. âSie müssen sehr stolz sein.â Dann schaute er zum Mond hoch und fuhr sich mit den Fingern durch sein schwarzes dichtes Haar. Wie gern hätte sie es ihm nachgemacht â¦
Annalisa zog ihre Jacke fester um sich und hätte am liebsten behauptet, dass es an der kühlen, nächtlichen Brise lag. Entschlossen hob auch sie den Blick gen Himmel. âJa, es ist einfach fantastisch, oder? Jetzt muss es offiziell dokumentiert und eingetragen werden. So, wie er es sich gewünscht hatte.â
Gemeinsam verharrten sie schweigend, während der Komet seine Bahn zog und schlieÃlich am Horizont verschwand. Zumindest mit dem bloÃen Auge war er nicht mehr erkennbar. Irgendwann stand Annalisa leise auf und begann damit, das Teleskop abzubauen.
Unzählige Emotionen durchfluteten sie, von denen sie nur die wenigsten hätte benennen können. Doch während sie mit den Dingen hantierte, die ihrem Vater so viel bedeutet hatten, überwog in jedem Fall die Trauer um ihn. Ihre Finger begannen zu zittern, das Atmen fiel ihr immer schwerer.
Seit seinem Tod hatte sie eigentlich nur auf diesen einen Tag hingelebt. Um einem Sterbenden den letzten Wunsch zu erfüllen.
Jetzt war es getan. Und was kam danach?
Ihre Reise und Karrierepläne kamen Annalisa plötzlich klein und unbedeutend vor, angesichts der Leere, die sie in ihrem Innern verspürte. Irgendwie fühlte sie sich sogar betrogen. Ihr Vater war gegangen, und mit ihm ihre Vergangenheit, die so perfekt organisiert und erfüllt gewesen war. Die Zukunft erschien ihr wie ein groÃes schwarzes Loch, das sie zu verschlingen drohte.
âLassen Sie mich das für Sie tunâ, sagte Tahir, dem ihr Stimmungswandel nicht entgangen war und nahm Annalisa das Okular aus der Hand.
âJetzt ist es vorbei â¦â, murmelte sie trübe.
âNur bis zum nächsten Malâ, erinnerte Tahir sie. âWenn Asiya wieder einmal vorbeigeflogen kommt.â
âNatürlich.â Annalisa wandte sich ab und verschwand im Zelt, um eine Ãllampe anzuzünden. Es ist lächerlich, so zu empfinden! versuchte sie, sich zur Ordnung zu rufen. Doch das Gefühl des Verlustes und der Trauer war so frisch wie am Todestag ihres Vaters. Dabei hatte sie doch so viel vor! Reisen. Ihr Studium!
Endlich war es ihr gelungen, die Lampe zum Brennen zu bringen. Annalisa verschwendete keinen Gedanken darauf, die unaufhaltsam flieÃenden Tränen zu verstecken, wandte sich um und wäre fast mit Tahir zusammengestoÃen, der ihr unbemerkt gefolgt war.
âNicht weinenâ, bat er sanft und wischte mit dem Handrücken über ihre feuchten Wangen.
âIch â¦â Ich weine doch gar nicht, hatte sie sagen wollen, aber das wäre wohl eine Lüge. Dabei war es wirklich das erste Mal seit dem Tod ihres Vaters. Vorher hatte sie einfach keine Zeit dafür gehabt. Denn gleich am Tag nach der Beerdigung bestürmten sie die Einheimischen, um von ihr Rat und Hilfe zu bekommen, die ihnen ihr Vater nicht mehr geben konnte. Sie war es auch gewesen, die sich um einen Nachfolger für ihn bemüht und den neuen Arzt mit den besonderen Umständen seines neuen Wirkungskreises bekannt gemacht hatte.
Jetzt war alles getan, und sie wurde nicht länger gebraucht.
âSie sollten eigentlich stolz und glücklich seinâ, sagte Tahir, der ihr Mienenspiel die ganze Zeit beobachtete.
âDas bin ichâ, erwiderte sie erstickt.
âSie vermissen ihn.â Es war keine Frage, sondern
Weitere Kostenlose Bücher