Geheimnis um einen entführten Prinzen
ein paar Tagen war ich noch mit seiner Schwester, Prinzessin Bongawy, zusammen.”
„So?” spöttelte der Polizist. „Hast du vielleicht auch mit der Mutter des Prinzen Tee getrunken – und mit dem König getafelt?”
„Nein, das nicht, aber ich habe mit seiner Schwester Eiskrem gegessen.”
Die beiden Polizisten lachten. Dann gab der eine Ern einen Schubs. „Nun mach aber, daß du fort kommst! Man soll niemals Lügengeschichten erzählen, das gibt nur Ärger. Merk dir das!”
Schnell kroch Ern durch die Hecke zurück. Es kränkte ihn, daß die Polizisten ihm nicht glaubten. Er beschloß, zu Dicki zu gehen und ihm zu erzählen, daß der Prinz verschwunden war. Daß die Zeitungen die Nachricht schon gebracht haben könnten, kam ihm nicht in den Sinn.
Wern und Bern wollte er diesmal nicht mitnehmen. Wern war heute schlecht gelaunt, und Bern hatte den Mund wieder einmal voll klebriger Bonbons, so daß kein Wort aus ihm herauszukriegen war. Auch fühlte Ern das Bedürfnis nach anregender Gesellschaft. Seine Brüder waren auf die Dauer doch etwas langweilig, fand er.
Vielleicht könnte er sich ein Fahrrad leihen, so daß er den weiten Weg nicht zu Fuß zu gehen brauchte. An einem Wohnwagen sah er ein Rad stehen. Er ging um den Wagen herum und fand dort einen Jungen, der etwas älter als er selber war. „Leihst du mir dein Rad?” fragte er ihn.
„Kostet einen halben Schilling”, antwortete der Junge.
Zögernd griff Ern in seine Tasche und bezahlte die verlangte Leihgebühr. Dann radelte er nach Peterswalde. Als er um eine Ecke bog, sah er Herrn Grimm auf sich zufahren. Erschrocken kehrte er um.
Herr Grimm hielt den Jungen aus der Entfernung aus irgendeinem Grund für Dicki und glaubte, er habe sich wieder einmal als Botenjunge verkleidet, wie er das schon öfters getan hatte. Ärgerlich fuhr er hinter ihm her. Fing der verflixte Bengel schon wieder mit seinen Tricks an? Hatte er sich etwa maskiert, um sich vor der Polizei zu drücken? Nun, er, Grimm, würde dem schon ein Ende machen. Er wollte so lange hinter dem Jungen herfahren, bis er ihn erwischte.
Wütend trat er die Pedale, klingelte wütend an den Ecken und sah selber wütend aus. Jeder, der ihm begegnete, mußte glauben, er verfolge einen Schwerverbrecher.
Als Ern rasendes Klingeln hinter sich hörte, drehte er sich um und sah zu seinem Schreck, daß sein Onkel ihm folgte. Er begann schneller zu fahren.
„He du!” hörte er Herrn Grimm rufen und erschrak noch mehr. Die Stimme des Onkels klang sehr böse. Was hatte er, Ern, denn getan? Verfolgte der Onkel ihn etwa, weil er die Prinzessin mit dem Prunkschirm verteidigt hatte?
Ern schoß um eine Ecke. Herr Grimm folgte ihm. Beide gerieten immer mehr in Hitze. Den Jungen jagte die Angst, den Polizisten jagte die Wut. Er war fest davon überzeugt, daß Dicki vor ihm herfuhr. Na warte, das sollte er büßen! Wenn er ihn erwischte, wollte er ihm die Perücke vom Kopf reißen und ihm zeigen, daß man die Polizei nicht täuschen konnte.
Wieder bog Ern um eine Ecke und raste direkt auf ein geöffnetes Scheunentor zu. Er konnte nicht mehr anhalten. Hühner und Enten flatterten mit großem Geschrei auseinander. Ern schoß in die Scheune hinein und fiel zu Boden. Er war den Tränen nahe.
Nun sauste auch Herr Grimm in rasender Fahrt in die Scheune hinein. Aber er fiel nicht hin, sondern bremste dicht neben Ern.
„Nimm die Perücke ab!” schrie er. „Was fällt dir ein, mir davonzufahren? Du weißt ganz genau, daß ich Auskünfte über Prinzessin Bongawy einholen muß.”
Ern starrte den Polizisten mit offenem Mund an. Was sollte das heißen? Glaubte der Onkel, er trage eine Perücke? Es war dunkel in der Scheune, und Herr Grimm sah nicht gleich, daß er seinen Neffen vor sich hatte. Erst als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er ihn.
„Ern!” rief er. „Was machst du denn hier?”
„Du hast mich doch verfolgt, Onkel”, antwortete Ern verdutzt. „Ich hatte Angst vor dir. Weißt du denn nicht, daß du hinter mir hergefahren bist?”
Herr Grimm riß sich zusammen. „Warum bist du vor mir geflohen?” fragte er streng.
„Ich sagte es doch schon – weil du mich verfolgtest.”
„Ich habe dich verfolgt, weil du geflohen bist”, sagte Herr Grimm würdevoll.
„Und ich bin geflohen, weil du mich verfolgt hast”, wiederholte Ern.
„Werde nicht frech!”
„Aber nein, Onkel!” Ern stand ängstlich auf. Auf der Erde war er Herrn Grimm zu sehr ausgeliefert. Man
Weitere Kostenlose Bücher