Geheimnisse einer Sommernacht
nicht, so hinterhältig in eine Ehe gedrängt zu werden. Wenn die Zeit nur nicht so knapp wäre, dann hätte sich die Beziehung langsam und natürlich entwickeln können, und sie hätte ihm einen ehrlichen Antrag entlocken können. Aber das hier war Annabelles letztes Wochenende auf Stony Cross und somit auch die letzte Möglichkeit, ihn zu einer Entscheidung zu bringen. Sie musste nur diesen Teil des Plans hinter sich bringen, danach war alles andere um vieles leichter. Lady Annabelle Kendall, ermahnte sie sich grimmig. Lady Annabelle Kendall. Sie sah sich als respektable, junge Ehefrau, die in der friedfertigen Welt der Gesellschaft Hampshires lebte und ab und zu nach London reiste, um dort ihren Bruder zu treffen, wenn er in den Schulferien nach Hause kam. Lady Annabelle Kendall, würde ein halbes Dutzend blonde Kinder haben, und einige der reizenden Kleinen trügen bestimmt Brillen wie ihr Vater. Und Lady Annabelle Kendall, wäre eine treue Ehefrau, die bis zu ihrem Lebensende versuchen würde, wieder gutzumachen, dass sie ihren Ehemann mit einer List zur Heirat bewogen hatte.
Sie erreichten die Lichtung hinter dem Birnengarten, wo in einem Kiesrund ein Steintisch stand. Annabelle lehnte in einstudierter Pose gegen die Tischkante. Vorsichtig berührte Kendall eine Locke, die ihr über die Schulter gefallen war, und bewunderte den goldenen Glanz auf dem hellbraunen Haar. „Miss Peyton“, begann er leise, „sicherlich ist Ihnen schon aufgefallen, dass ich eine ungemeine Vorliebe für Ihre Gesellschaft entwickelt habe.“
Das Herz schlug Annabelle bis zum Hals. „Ich …, ich habe auch große Freude an unseren gemeinsamen Gesprächen und Spaziergängen“, brachte sie mit Mühe heraus.
„Wie reizend Sie sind“, raunte Kendall, während er sie an sich zog. „Noch nie habe ich so blaue Augen gesehen.“
Noch vor einem Monat hätte eine solche Situation Annabelle überglücklich gemacht. Kendall war nicht nur ein netter Mann, er war auch attraktiv, jung und reich und er besaß einen Titel. Oh Gott, was war nur los mit ihr?
Widerwillen erfüllte sie durch und durch, als er sich ihrem errötenden, ernsten Gesicht näherte. Aufgeregt und ängstlich versuchte sie, still zu halten. Doch bevor sich ihre Lippen berühren konnten, wandte sie sich mit einem leisen Seufzer ab.
Stille lag über der Lichtung.
„Habe ich Sie verängstigt?“, fragte Kendall schließlich. Höflich und ruhig blieb er, er war nicht so arrogant wie Simon Hunt.
„Nein …, das ist es nicht. Nur …, ich kann es nicht.“ Annabelle strich sich über die Stirn, plötzlich hatte sie Kopfschmerzen. Ihre Schultern waren steif unter den schweren Puffärmeln ihres pfirsichfarbenen seidenen Abendkleides. „Vergeben Sie mir, Mylord.“ Ihre Stimme klang dunkel vor Scham. „Sie sind einer der höflichsten Gentlemen, die ich kennenlernen durfte. Und aus diesem Grund werde ich jetzt gehen. Es ist nicht richtig von mir, Sie zu etwas zu ermutigen, was nicht gut enden kann.“
„Wieso denken Sie das?“, fragte er deutlich verwirrt.
Annabelle lächelte bitter. „Sie kennen mich nicht richtig. Glauben Sie mir, wir sind ein Paar, das nicht zusammenpasst. Auch wenn ich es nicht wollte, schließlich würde ich Sie doch verletzen. Sie sind viel zu sehr Gentleman, um sich zu wehren, und am Ende wären wir dann beide unglücklich.“
„Miss Peyton“, begann er leise nach diesem Gefühlsausbruch. „Ich kann wirklich nicht verstehen …“
„Ich glaube, richtig verstehen kann ich es auch nicht. Aber es tut mir leid. Ich wünsche Ihnen alles Gute, Mylord.
Und ich wünsche …“ Sie rang nach Luft, dann lachte sie plötzlich. „Wünsche sind gefährlich, nicht wahr“, murmelte sie und verließ eilig die Lichtung.
19. KAPITEL
Mit sich selber schimpfend ging Annabelle den Pfad entlang, der zurück zum Haus führte. Sie konnte es nicht glauben. Sie war kurz davor gewesen, dass alle ihre Wünsche in Erfüllung gingen. Und was hatte sie getan? Den Mann zurückgewiesen. „Dumm, oh Gott, wie dumm“, murmelte sie. Was sollte sie nur ihren Freundinnen erzählen? Sicher erreichten sie bald die Lichtung und fragten sich, weshalb sie niemanden dort vorfanden. Na ja, vielleicht war Lord Kendall ja noch dort. Und wenn, dann sah er aus wie ein Pferd, dem man den Heusack weggenommen hatte, bevor es fressen konnte.
Annabelle tat einen unhörbaren Schwur. Nie wieder wollte sie die anderen Mauerblümchen darum bitten, ihr bei der Suche nach einem Ehemann
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