Geheimnisvoll wie der Orient
beruhigen, hatte sich das aufgebrachte Pferd, ein prächtiger Rappe, losgerissen und war gestiegen. Dabei schlug es mit den Vorderläufen wild durch die Luft.
Ohne auf die Hufe zu achten, die sich gefährlich dicht neben seinem Kopf befanden, ging Tair einen Schritt auf das verstörte Pferd zu.
Er schien mit dem Tier zu sprechen, als wären Worte eine angemessene Verteidigung gegen messerscharfe Hufe. Molly hielt den Atem an.
Warum bringt er sich nicht einfach in Sicherheit, wie es je der halbwegs vernünftige Mensch tun würde?
„Oh Gott!“, stöhnte sie. Eisige Kälte stieg in ihr auf, als das Pferd zur Seite tänzelte und seine Hufe Tair nur um Haaresbreite verfehlten.
Um Himmels willen, warum geht er auch noch auf diese wilde Kreatur zu?
Jetzt atmete sie stoßweise und konnte sich nicht von der Szene losreißen. „Dummer Kerl!“, flüsterte sie.
Glaubte er denn, sein göttliches Aussehen genügte, um ihm Unsterblichkeit zu verleihen?
Wie in einem gestochen scharfen Film sah sie ihn vor sich am Boden, wie er bleich und unbeweglich dalag, das Blut aus einer tiefen Wunde fließend. Sie schüttelte den Kopf, um das Bild zu vertreiben. In Momenten wie diesen beklagte sie ihre überbordende Fantasie!
Mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie Tair sich in einem zweiten Versuch mit ausgebreiteten Armen dem Pferd näherte und dabei die ganze Zeit beruhigend auf es einredete.
Du bewegst dich in die falsche Richtung, du Wahnsinniger. Vernünftige Menschen liefen vor der Gefahr davon. Er hingegen schien sie zu suchen.
Eine plötzliche Stille breitete sich im Lager aus, als Tair schließlich neben dem Pferd stand und ihm über die glänzende schwarze Flanke strich. Molly glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als er schließlich die Hand auf die Mähne des vor Anstrengung heftig schnaubenden Tieres legte.
Entsetzt und doch fasziniert konnte sie den Blick nicht abwenden. Auch die umstehenden Beduinen starrten gebannt auf die Szene. Alle hatten in ihren Tätigkeiten innegehalten, um den Ausgang der Kraftprobe mitzubekommen. Völlig unbeirrt sprach Tair, der seine Umgebung gar nicht mehr wahrzunehmen schien, mit sanfter Stimme auf das Pferd ein.
Ungläubig schüttelte Molly den Kopf, als der Rappe wenig später lammfromm mit den Nüstern über Tairs Handfläche strich. Der lachte kurz über eine Bemerkung eines der Umstehenden und sah dann zu Molly hinüber.
Einen Augenblick später hatte er sich auf den bloßen Rücken des Pferdes geschwungen. Die Zügel in einer Hand haltend, trieb er es zum Galopp an und brachte es erst kurz vor Molly zum Stehen.
Pferd und Reiter waren eine Augenweide, beide ungezähmte, wilde Geschöpfe.
Molly verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, möglichst unbeteiligt zu wirken. Als der Rappe jedoch wieder mit den Hufen zu scharren begann, ließ ihre Selbstbeherrschung sie kurz im Stich. Nervös trat sie einen Schritt zurück und tat ihr Bestes, Tairs Grinsen zu übersehen.
„Keine Angst, er ist harmlos.“ Er beugte sich vor, um dem prachtvollen Pferd den Hals zu klopfen.
Er vielleicht, aber du bist es nicht. Du wirst mich verletzen, weil ich dich in mein Herz gelassen habe .
Du lieber Himmel, ich habe mich in ihn verliebt, fiel es ihr in diesem Augenblick plötzlich wie Schuppen von den Augen.
Tair blickte in ihr bleiches Gesicht, und sein amüsiertes Lächeln erlosch. „Du hast tatsächlich Angst vor Pferden, stimmt’s?“ Rasch schwang er ein Bein über den Rücken des Rappen und glitt zu Boden.
Er winkte einen in der Nähe stehenden Jungen herbei und übergab ihm die Zügel. Mit einem scheuen Lächeln in Mollys Richtung führte der das Pferd davon.
„Du glaubst wohl, wir sind jetzt alle mächtig beeindruckt von deiner Show?“, fauchte sie. Ihr Atem ging schwer vor Empörung, und sie fuhr mit zittriger Stimme fort: „Wahrscheinlich denkst du, du hast eine gute Figur abgegeben.“ Das tat er immer, dazu musste er nicht den Helden geben. „Nur zu deiner Information, ich halte nichts von Aufschneiderei. Außer mir wird dir das allerdings kaum jemand ins Gesicht sagen, weil es vermutlich verboten ist, jemanden aus der königlichen Familie als Angeber zu bezeichnen. Diese Vorstellung war nämlich nicht beeindruckend, sie war leichtfertig und dumm. Und es wäre ganz allein deine Schuld gewesen, wenn du schwere Verletzungen davongetragen hättest.“ Sie konnte ihn direkt vor sich im Sand liegen sehen, blutend und bewusstlos. „Du hättest dir das Genick brechen
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