Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
Sondervorstellung. Ich hatte Schwindelanfälle, und die Morgenübelkeit verfolgte mich inzwischen den ganzen Tag über. Wer auch immer diesen Begriff erfunden hatte, gehörte wegen der Vortäuschung falscher Tatsachen verklagt. Ich hatte permanent Heißhunger und traute mich gleichzeitig nicht, etwas Ordentliches zu mir zu nehmen, aus Angst, es würde sofort wieder im Klo landen. Es war wirklich zum Verrücktwerden.
Ich hatte nicht mal die Hälfte der Schwangerschaft hinter mir und fühlte mich schon jetzt der Herausforderung nicht mehr gewachsen.
Ich wollte wieder zurück. Einfach alles auf Anfang stellen und Menü zwei wählen. Mit Kondom, ohne Baby, ohne Streit, mit Tim. Am liebsten sofort und per Fernbedienung. Ich unterdrückte den Impuls, mich wie ein kleines Mädchen auf den Schoß meiner Mutter zu setzen und ihr von meinem schweren Leben ohne Tim vorzuschluchzen. Stattdessen nahm ich mir einen Keks und versuchte, unbeschwert zu klingen. Doch, doch, mir ging es gut. Arbeit gut, Leben gut, alles gut.
»Hat Tim es dir schon gesagt?«, fragte Chris plötzlich, während er meiner Mutter einen fetten Kuss auf die Wange drückte. Meine Mutter sah ihn genauso entsetzt an wie ich. Das Blut in meinem Kopf fing an zu rauschen. Ich hörte und sah kaum noch etwas, und mir wurde schon wieder schwindelig. Was sollte Tim mir gesagt haben? Dass es vorbei war, dass ich mir nichts mehr vormachen sollte, dass wir sowieso nie gut zusammengepasst hatten?
»Was?«, presste ich mühsam hervor und versuchte, den schwarzen Schleier in meinem Kopf durch tiefes Ein- und Ausatmen zu verdrängen.
»Na, dass ihr beide unsere Trauzeugen sein sollt«, grinste Chris und zog meine Mutter noch näher zu sich heran. Die Dunkelheit in meinem Kopf war wie weggeblasen. Alle meine Sinne waren mit einem Mal aufs äußerste geschärft. Ich starrte meine Mutter an und sagte nur schroff: »Was soll das heißen?«
Zum ersten Mal war es ihr unangenehm, dass Chris sie ständig betatschte. Sie schob genervt seinen Arm weg und fuhr ihn an: »Chris, wir hatten doch abgemacht, dass ich erst mit Karina spreche. Kannst du dich nicht einmal zurückhalten? Jetzt lass uns bitte mal für einen Moment allein.«
Chris zog sich beleidigt in die Küche zurück. Meine Mutter wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte, bevor sie auffordernd auf den leeren Platz neben sich klopfte, als wäre ich ein kleines Kind. Ich wollte mich aber nicht zu ihr setzen, und ich wollte auch nicht mit ihr allein sein. Mit ihr allein darüber zu reden war fast noch schlimmer, als wenn Chris seine blöden Witze riss. Sie würde es jetzt auf die gefühlvolle Mitleidstour versuchen. Ich bin auch nicht mehr die Jüngste, wer weiß, ob ich sonst noch jemanden abbekomme, es ist alles halb so schlimm, du bist schließlich erwachsen und überhaupt geht es hier auch gar nicht um dich. Oder so ähnlich.
»Chris und ich lieben uns, und wir wollen heiraten«, sagte sie stattdessen kurz und schmerzlos, und mir wurde schlecht.
Ich rannte ins Bad und kotzte. Kaum zu glauben, dass überhaupt noch etwas in meinem Magen war, so oft hatte ich mich in letzter Zeit übergeben. Mir kamen die Tränen. Das passierte mir öfter, wenn ich mich übergeben musste, aber diesmal hörten sie gar nicht mehr auf. Als der Brechreiz endlich nachgelassen hatte, setzte ich mich auf den Badewannenrand und weinte, ließ die Tränen einfach über mein Gesicht laufen, bis der Kragen meiner Jacke schon ganz feucht war. Die Nachricht von der Hochzeit hatte das Fass zum Überlaufen gebracht.
Meine Mutter heiratete ihren dreiundzwanzig Jahre jüngeren Freund, während ich mit einem Baby und den anderen Überresten meiner Beziehung kämpfte. Das war verdammt nochmal ungerecht. Wenn hier überhaupt jemand das Recht auf eine Hochzeit hatte, dann ich.
Meine Mutter klopfte an die Badezimmertür. »Alles klar, mein Schatz?«
Ich schüttelte stumm den Kopf und unterdrückte ein Schluchzen.
»Karina, für uns wird sich doch durch die Hochzeit nichts ändern«, rief sie durch die Tür. »Sieh es doch auch mal von der lustigen Seite, du hast den besten Freund deines Freundes zum Stiefvater, wer kann das schon von sich behaupten.«
Ja, wirklich sehr lustig. Ich könnte noch ganz andere Sachen von mir behaupten, aber das fände meine Mutter dann gar nicht mehr lustig.
»Freust du dich nicht wenigstens ein kleines bisschen für uns?«
Ich starrte regungslos in mein verquollenes Spiegelbild. Dann spritzte ich mir kaltes
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