Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
klarwurde, dass ich mich mit etwas anderem beschäftigen sollte, da sonst meine einstudierte Souveränität samt Neunziggradwinkel-Position hinfällig wäre. Also holte ich die Tageszeitung hervor und zwang mich dazu, wenigstens die Überschriften zu lesen. Als die Uhr über der Theke fünf Minuten vor elf anzeigte, wurde die Spannung fast unerträglich. Tim kam meistens eher zu früh als zu spät.
Aber diesmal ließ er sich Zeit. Vermutlich wollte er genauso wenig wie ich zeigen, dass er mich vermisst hatte. Ich versuchte, mich auf die Buchstaben der Zeitung zu konzentrieren.
Um zehn nach elf fand ich das Gefühlspoker nicht mehr lustig. Um Viertel nach machte ich mir Sorgen, dass ihm etwas auf dem Weg zugestoßen sein könnte. Unpünktlichkeit war nun wirklich nicht Tims Art, erst recht nicht, wenn ihm das Treffen so wichtig war. Ich bestellte mir einen weiteren Kakao und starrte nun jeglicher Strategie zum Trotz unentwegt zur Tür. Um zwanzig nach musste ich vor Aufregung aufs Klo, traute mich aber nicht, meinen Platz zu verlassen, weil Tim dann denken könnte, dass ich nicht da sei, wenn er käme, und wieder gehen würde. Ich holte mein Handy hervor, aber ich hatte keine neuen Nachrichten auf der Mailbox. Um halb zwölf hielt ich es nicht länger aus und sprintete zur Toilette.
Als ich zurückkam, hatte sich nichts verändert. Außer mir waren nur drei Omas zum verfrühten Kaffeeklatsch da. Keine Spur von Tim. Ich ging im Kopf noch einmal seine Nachricht durch. Es gab nur dieses Café am Wald, heute war Mittwoch, und es war nach elf Uhr. Ich zwang mich dazu, sachlich zu bleiben, meine neue positive Sicht der Dinge nicht gleich wieder zu verlieren, und suchte nach plausiblen Gründen für Tims Wegbleiben. Aber mir fiel nur ein plausibler Grund ein: Tim musste ganz plötzlich krank geworden sein, und zwar so schwer, dass er dafür selbst das Wiedersehen mit seiner Ex-und-bald-hoffentlich-wieder-Freundin verschieben musste. Vermutlich lag er mit vierzig Grad Fieber im Bett und konnte im Fieberwahn meine Handynummer nicht finden. Ich starrte auf mein Handy, das keinen Ton von sich gab, und zögerte, ihn anzurufen. Gestern hatte ich es mir den ganzen Tag lang verkniffen, weil ich mir aus einer übertrieben romantischen Laune heraus eingebildet hatte, unser Wiedersehen würde nur dann richtig perfekt sein, wenn ich ihn vorher nicht anrief. Und jetzt war es dadurch erst richtig zum Reinfall geworden.
Ich wartete, bis der Zeiger auf der Uhr exakt elf Uhr fünfundvierzig anzeigte, dann wählte ich Tims Nummer. Es klingelte. Ich hielt den Atem an. Es klingelte noch mal. Dann war besetzt. Tim hatte mich weggedrückt. Er hatte meine Nummer auf dem Display gesehen und mich einfach weggedrückt! Ich war baff. Ich hatte mit allem gerechnet. Dass Chris dranging oder meine Mutter, oder irgendein Notarzt. Oder dass ich auf die Mailbox sprechen musste, weil Tim noch im Auto saß und dann grundsätzlich nicht telefonierte. Aber nicht damit, dass er mich wegdrückte. Ich versuchte es noch mal, und wieder drückte er mich nach dem zweiten Klingeln weg. Er wollte noch nicht einmal, dass ich ihm eine Nachricht hinterließ. Handys konnten manchmal so grausam direkt sein. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Aber eins war klar: Auf Tim brauchte ich hier ganz bestimmt nicht mehr zu warten.
Ich bezahlte und raste davon. Je schneller ich fuhr, desto mehr verabschiedete sich mein positives Denken wieder von mir. Ich war wütend, traurig, enttäuscht, gedemütigt. Alles auf einmal, und es gab nur eine Person, an der ich meine ganzen wirren Gefühle auslassen konnte.
»Es tut mir wirklich leid, Ecki, aber Sie müssen heute leider als Sündenbock herhalten«, fiel ich gleich mit der Tür in seinen Kiosk. »Aber Sie sind inzwischen bestimmt alt genug, um mit den kleinen Ungerechtigkeiten des Lebens umgehen zu können. Ich weiß langsam wirklich nicht mehr, was ich machen soll.«
Ich machte eine rhetorische Pause, um Ecki Zeit für eine angemessene Reaktion zu geben, aber er hatte sich wie immer hinter der Bildzeitung vergraben und gab kein Lebenszeichen von sich.
»Was ist? Wollen Sie sich überhaupt nicht wehren?«
Ecki ließ die Zeitung sinken: »Wenn berühmte Leute sprechen, soll man nicht dazwischenreden.«
»Berühmt? Wieso berühmt, ich meine so bekannt sind meine Artikel nun …« Aber bevor ich weiterreden konnte, hielt Ecki mir die Schlagzeile seiner Lieblingszeitung unter die Nase: Ist sie seine neue Flamme? Torwartstar
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