Gehetzt - Thriller
beschäftigt. Eine einzige Chance. Sie hatte einen einzigen Versuch.
Diane sprang vom Rand des Bahnsteigs hinunter auf die leeren Schienen und landete leicht strauchelnd, aber sanfter, als sie erwartet hatte. Ihr Rucksack war am Rand des Bahnsteigs hängen geblieben, und sie ruckelte mit den Schultern, um ihn loszubekommen. Als er sich losriss, landete sie hart auf dem Kies, sprang schnell wieder auf und presste sich mit dem Rücken gegen die Betonwand. Sie schob sich langsam Richtung Tunnel und ging vornübergebeugt im Schutz des über ihr befindlichen Bahnsteigs, bis er endete und sie in die Dunkelheit und Kühle des Tunnels eintauchte. Nach ein paar Metern hielt sie an, drückte sich an die Wand und wagte einen Blick zurück. Ihre Augen wanderten den Bahnsteig entlang, vorbei an eiligen Zuspätkommenden, die über den Bahnsteig hasteten, um den Zug noch zu erwischen, vorbei an Schaffnern, die ihre gelben Metalltreppen einsammelten und an die Pfeiler in der Mitte des Bahnsteigs stellten, bis hin zur Rolltreppe.
Sie hielt die Luft an.
Die Polizisten. Der Hund.
Auf der Rolltreppe. Einer von ihnen hatte sein Funkgerät vor dem Mund und sagte etwas hinein.
Diane riskierte noch einen Blick und sah, wie sie in den Zug stiegen. Gail!
Dann drehte sie sich um und rannte los.
Zuerst stolperte sie über die Bahnschwellen, bis sich ihre
Augen an den schwachen Schein der grünen, roten und gelben Lichter an den Tunnelwänden gewöhnt hatten. Dann kam sie schneller voran, der Kies knirschte unter ihren Füßen, das Echo ihrer Schritte hallte von den Wänden der unterirdischen Durchfahrt wider wie das Marschgestampfe einer Armee im Schnellschritt. Sie rannte, rannte, rannte. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie schon immer gerannt, als hätte sie in ihrem ganzen gottverdammten Leben nie etwas anderes getan.
Diane atmete schwer, während ihr Rucksack auf ihrem Rücken auf und nieder hüpfte. Sie nahm den Revolver aus ihrem Hosenbund und lief mit ihm in der Hand wei ter, weil sie plötzlich Angst hatte, dass sich ein Schuss lösen könnte und ihr eine Kugel ins Bein oder, schlimmer noch, in den Bauch jagte, wenn sie die Waffe am Körper ließ. Den Revolver fest umklammernd rannte sie und schwitzte und keuchte und rannte. Bleib ruhig, bleib ruhig, lauf einfach nur weiter.
Plötzlich weitete sich der Tunnel zu einer Art Nebenzweig. An der Wand waren ein paar alte Kühlschränke zu einer Art Baracke zusammengeschoben worden. In einer Öffnung zwischen den Kühlschränken kauerten zwei buck lige, haarige Gestalten. Sie beugten sich zu ihr vor und stierten sie mit weit aufgerissenen Augen an; das Weiße ihrer Augen bildete einen starken Kontrast zu ihrer rußigen Haut. Diane rannte an ihnen vorbei und ließ sie einen Blick auf den Revolver erhaschen, nur für den Fall, dass sie in Erwägung ziehen sollten, sie zu verfolgen.
»Keine Panik!«, keuchte sie ih nen zu. »Bin schon wieder weg.« Ihre Münder klappten auf, als sie an ihnen vorbeirannte, und ei ner von ihnen rief ihr hinterher: »Schon gut, Süße, zieh weiter!« Sie sah sich nicht um.
Kurz darauf wurde es heller im Tunnel, und sie konnte Abenddämmerung ausmachen. Vielleicht zweihundert Meter vor ihr, das war von hier drinnen schwer zu sagen. Sie
rannte schneller, Schweißperlen rannen ihr die Stirn hinunter und in die Augen. Sie wischte sie mit dem Ärmel weg, aber das Salz brannte trotzdem.
Gail. Vielleicht hat ten sie sie schon geschnappt. Vielleicht saß sie auch noch in diesem Zug, ohne zu wissen, dass sie geliefert war. Diane rannte, angespornt von ihrem woraus auch immer bestehenden Antrieb, der einmal Hoffnung gewesen war. Sie rannte und stellte sich vor ihrem inneren Auge vor, dass Gail es schaffte, aus dem Zug herauszukommen und unbemerkt, wie ein Geist, an allen vorbeizuhuschen.
Tumult im Gang. Wie es klang, im übernächsten Abteil. Gail erkannte die Stim me eines der Po lizisten wieder; es war der mit dem Hund. »Such, Ginger, such! Such!« Das Schnipsen seiner fleischigen Finger. Es folgten gedämpfte Wortfetzen, eine tiefe Stimme, barsch und autoritär, im militärischen Kommandoton brüllend, und dann die Stim me eines anderen Mannes: »Lassen Sie das, verdammt, das können Sie doch nicht tun!« Letzteres hörte Gail klar und deutlich und auch das leise und bedrohliche Knurren des Hundes. Dann rumpelte es, und irgendetwas wurde über den Gang geschleift.
Geräusche einer Verhaftung. Es klang genauso, wie wenn in Sundown ein Häftling in die
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