Gehetzt - Thriller
Marshals Zeit wei ter zu fah ren.« Er lud Diane mit ei ner Geste ein, sich zu ihnen zu gesellen. »Setz dich doch. Noch ein Glas Wein?«
»Besser nicht«, erwiderte Diane. »Wenn ihr nichts dagegen habt, lege ich mich ein bisschen hin und versuche, mich auszuruhen. Ich bin den ganzen Tag gefahren.«
Sie ignorierte den Blick, den Gail ihr zuwarf, ging über den Flur ins Gästezimmer, das Chris und Michelle ihr zugewiesen hatten - es war das Zimmer ihres Sohnes -, und legte den Revolver unters Kopfkissen. Über dem Kopfteil des Bettes hing ein Poster einer schauerlich aussehenden Heavy Metal Band. Auf dem oberen Brett des Bücherregals standen ein paar Ringkampftrophäen. Es war seltsam, als Gast im Zimmer eines vollkommen Unbekannten zu sein. Sie war oft genug in Häusern und Räumen vollkommen Unbekannter gewesen, aber immer als Polizistin. Und merkwürdigerweise überkam sie auf ein mal das Ge fühl, als wäre sie, trotz al lem, was ihr widerfahren war, im mer noch Polizistin. Sie musterte die Bücher in dem Regal, doch nur we nige Titel sagten ihr etwas. Es waren die Bücher eines Heranwachsenden, der offenbar keine große Leseratte war. Sie entdeckte Der Fänger
im Roggen und Herr der Fliegen. Das Regal quoll nicht gerade über vor Büchern. In manchen steckten Lesezeichen, vielleicht hatte er die Bücher für die Schu le lesen müssen, und sie hatten ihm zu seiner Überraschung gefallen. Diane wurde bewusst, dass sie das Bücherregal unter die Lupe nahm, als ermittelte sie in einem Fall und würde nach Hinweisen suchen. Aber hier war kein Verbrechen begangen worden. Ihr war irgendwie, als hätte sie ein Déjà-vu-Erlebnis, obwohl sie wusste, dass sie noch nie in diesem Haus gewesen war. Also musste sie irgendwo anders in einer ähnlichen Situation gewesen sein, einer Situation, die der jet zigen so ähn lich gewesen war, dass dieses Déjà-vu-Gefühl sie jetzt überkam. Aber vielleicht vermisste sie das alles auch nur - die Jagd, das Suchen nach Anhaltspunkten. Und dann den Moment, in dem die Beweise sich zusammenfügten und in einem Haftbefehl mündeten. Die Festnahme. Und die Hektik, die dann herrschte. All das vermisste sie.
Auf einem Regalbrett weiter unten stand ein Schuhkarton voller Baseball- und Magic-Karten, sogar ein paar alte, glänzende Pokémon-Karten waren dabei. Sie nahm den Karton aus dem Regal und sah ihn durch, ohne zu wissen warum. Unter den Karten ertasteten ihre Finger eine kleine Schachtel. Sie hatte etwa die Größe eines Reese-Peanut-Butter-Riegels, aber die Verpackung war tarnfarben. Auf der Vorderseite stand in schwar zen Großbuchstaben: Camo Condom. Darunter stand: Lass sie nicht sehen, dass du kommst. Ob Michelle wusste, dass ihr Sohn Kondome besaß?
Als Diane den Schuhkarton zurückstellte, fiel ihr das neben dem Karton stehende Buch ins Auge. Ein Hardcover, auf dem Buchrücken stand in roter Schrift: Deep Cover. Von Mike Levine. Der Exagent der Bundesdrogenbehörde. The Big White Lie. Diane fragte sich, ob derjenige, der ihren Streifenwagen gefunden hatte, das Buch in ihrer Aktentasche
entdeckt und sich dafür entschieden hatte, es verschwinden zu lassen, bevor er den Sheriff angerufen und gemeldet hatte, mitten im Wald außerhalb von Nacogdoches auf einen verlassenen Streifenwagen der Boltoner Stadtpolizei gestoßen zu sein. Vielleicht hatte es sich der Scheißkerl aber auch unter den Nagel gerissen, der ihren Streifenwagen gestohlen hatte. Um das Trauma zu überwinden, ohne erkennbaren Grund drei Teenager erstochen zu haben, indem er sich in The Big White Lie vergrub. Wahrscheinlicher war jedoch, dass er das Buch in einem Antiquariat verhökert hatte, nicht weit entfernt von dem Leihhaus, in dem er zweifelsohne ihren Samsonite verpfändet hatte. Und dann hatte sie ihn wiedergesehen, den strahlend weißen Schutzumschlag mit der fetten schwarzen Schrift; er war ihren blutunterlaufenen Augen auf Efirds Bücherregal aufgefallen - dabei hätte sie es nie im Leben für möglich gehalten, dass Efird auch nur ein einziges Buch besaß, geschweige denn drei ordentlich sortierte Regale voll -, und zwar an jenem »großartigen Morgen danach«, wie sie ihr Erwachen in Efirds Wohnung für sich selbst bezeichnete. Er hatte es ihr nicht einmal ausleihen wollen. Arschloch. Sie nahm das Buch aus dem Regal und legte es aufs Bett, um darin zu lesen, bis ihr die Augen zufielen, denn nach den Ereignissen dieses Abends würde sie auf andere Weise nie in den Schlaf finden. Doch dann fielen ihr die
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