Gehetzt - Thriller
wandfüllenden Bücherregale im Wohnzimmer ein, und sie ging noch einmal hinüber, um nachzusehen, welchen Lesestoff sie dort finden konnte.
Michelle und Gail deckten gerade den Tisch. Chris und Tom waren wieder am Grill. Gail, die ge rade im Begriff war, eine Gabel auf eine Serviette zu legen, hielt abrupt inne, als sie Diane sah, und zog die Augenbrauen zu einer stummen Frage hoch. Diane tat die Geste mit einem Schulterzucken ab und ging zu einem der Bücherregale.
»Die meisten unserer Bücher dürften dir nicht gefallen«, bemerkte Michelle. »Was Literatur angeht, neigen wir nach links.«
Diane hörte die Cheerleaders in ihrem Kopf, sah sie in der rot-weißen Kluft der Overton Highschool Cougars vor sich, wie sie auf und ab hüpften und ihre Puschel schüttelten … lean to the left, lean to the right, stand up, sit down, fight, fight, fight … und die Einwohner von Overton, die sich freitagabends fast vollständig auf der Tribüne versammelten, da sie ja sonst nichts zu tun hatten, und das Anfeuerungslied mitbrüllten, sich jedoch weder nach links oder rechts neigten noch aufstanden oder sich hinsetzten, wie es der Text eigentlich verlangte. Diane wünschte, Chris würde einen Frito Pie zubereiten statt gegrilltem Thunfisch. Sie hatte den Geschmack noch auf der Zunge: Man servierte sie in diesen dünnen Pappschachteln, den gleichen, in denen auch Pommes serviert wurden, nur dass beim Frito Pie zuerst eine klei ne Portion Fritos in die Schachtel gegeben wurde und darauf kam dann ein Schöpflöffel dampfende Chilisoße und zum Schluss noch geriebener Cheddar-Käse. Die Snackbar am Stadion der Paris Highschool machte den besten Frito Pie in ganz Texas, davon war Diane überzeugt, wobei die Mannschaft aus Overton es nie über die Bezirksmeisterschaften hinaus gebracht hatte. Nach allem, was Diane wusste, gab es auch in Abilene oder El Paso einen anständigen Frito Pie. Doch selbst in den seltenen Fällen, in denen sie sich auswärtige College-Spiele angesehen hatte, hatte es nirgends so einen guten Frito Pie gegeben wie bei den Spielen der Paris Wildcats.
Diane wurde sich bewusst, dass sie die Bücherregale anstarrte, ohne etwas wahrzunehmen. Sie such te erneut, ohne genau zu wissen, wonach. Dann stieß sie auf ein Buch in Arbeitsheftgröße: The Anarchist’s Cookbook. Daneben stand
ein dickeres: Female Perversions. Dann A Bright Shining Lie. Aber kein The Big White Lie. Vielleicht entdeckte sie es irgendwo als Taschenbuch? Oder ihr eigenes Exemplar würde auf irgendeine Weise wieder bei ihr landen. Eine Schulfreundin, ein Mädchen, das seine Nase nur zum Essen oder Schlafen aus seinen Büchern genommen hatte, hatte ihr einmal gesagt, dass nicht sie es sei, die die Bücher finde, die sie lese, sondern vielmehr fänden die Bücher sie und präsentierten sich ihr, um von ihr gelesen zu werden. Während Diane so dastand, vor dem massiven Regal voller Bücher, dachte sie, dass sie es tatsächlich schaffen könnte, Gails Vorschlag in die Tat umzusetzen und wieder die Schulbank zu drücken. Sich in den Elfenbeintürmen zu verschanzen. Und hatte sie das nicht sowieso vorgehabt, bevor sie in diesen Schlamassel geraten war? Den Gedanken an ein Jurastudium würde sie wohl begraben müssen, denn an den Jurafakultäten würden sie sicher zuerst nach ihr suchen. Andererseits, wo wollten sie schon anfangen, und wie wollten sie sie ausfindig machen, wenn sie eine einwandfreie Identität hätte? Vielleicht wäre ein Jurastudium genau das Richtige für sie.
Diane lag im Dunkeln im Bett; sie war zu dem Schluss gekommen, dass Lesen heute Abend doch nicht das richtige Schlafmittel war. Sie hörte Chris und Michelle in der Küche herumhantieren. Das Wasser lief, Geschirr klapperte, Chris sagte etwas, und Michelle lachte. Vielleicht waren sie wirklich glücklich. Vielleicht gab es Menschen, die glücklich waren, Familien zu haben.
Lange nachdem Chris und Michelle das Licht ausgeknipst hatten und zu Bett gegangen wa ren und nachdem die Spülmaschine in der Küche den Waschgang beendet und aufgehört hatte zu rumoren, lag Diane immer noch wach und wartete da rauf, dass die Uhr im Zimmer des Jungen auf drei Uhr
morgens vorrückte, die Stunde, zu der sie aufbrechen wollten, in der Hoffnung, dass keine Marshals auf sie warteten. Sie ver misste ihr altes Leben, auch wenn es sie nicht zu Begeisterungs stür men hingerissen hatte, als sie es noch ge lebt hatte. Aber es war um Längen besser als ihr jetziges Dasein. Sie vermisste
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