Gehetzt - Thriller
immer die Frage nach dem Wa rum. Es tröstete sie auf seltsame Weise, dass zumindest nicht das Arschloch von Sheriff dahinterstecken konnte. Und der war der Einzige, von dem sie mit Sicherheit wusste, dass er ihr Feind war.
Diane starrte auf das Lämpchen am Anrufbeantworter.
Blink. Blink. Blink. Blink.
Sie schloss die Augen. Sie würde Renfro heute Abend bei der Einsatzbesprechung sehen. Wahrscheinlich würde sie ihm sowieso alles erzählen, ganz egal, ob sie mit der Absicht hinging, es zu tun oder es zu lassen.
KAPITEL 6
Die Zellentür wurde aufgesperrt, und Gail schoss ruckartig hoch. Sie war mitten aus einem Traum gerissen worden und wusste im ersten Moment nicht, wo sie war, bis sie schließlich die offene Gittertür erkannte, wo Johnson direkt hinter einer jungen Frau stand, der er bedeutete, sich in Gails Zelle zu begeben.
»Was soll das …«, fragte Gail verschlafen, aber Johnson brachte sie mit erhobener Hand und einem finsteren Blick zum Schweigen.
»Das klä ren wir später«, stellte er klar. »Ich habe keine andere Zelle, in die ich sie stecken kann.«
»Wie wär’s denn mit der?«, entgegnete Gail und deutete mit dem Dau men auf die Wand, die an die Zelle des Wiesels grenzte. Sie starrte Johnson herausfordernd an.
»Mach dich lieber mit deiner neuen besten Freundin bekannt«, raunzte Johnson. Mit diesen Worten knallte er die Zellentür zu und verschwand den Gang hinunter.
Gail seufzte und legte sich wieder hin. Die Frau stand an der Zellentür und starrte die obe re Pritsche des Etagenbetts an, als ob sie den Stahl mit ihren Augen durchbohren wollte. Sie sah aus, als wäre sie ge rade mal Anfang zwanzig, an ihren Handgelenken zeichneten sich noch die Abdrücke von Handschellen ab. Sie warf ihren Schlafsack aufs Bett, stieg hinauf und rollte ihn aus. Dann legte sie sich hin.
Gail starrte die Pritsche über sich an.
»Verdammte Scheißkerle!«, sagte die Frau. Ihr gedehnter
Südstaatenakzent ließ die Worte ein wenig weicher klingen, vermochte jedoch nicht, die Wut in ihnen zu verbergen.
Gail lag da und wartete. Was für eine Ge schichte ihr diese Frau wohl auftischen würde, und ob sie zumindest ein Fünkchen Wahrheit enthielte?
»Ich war dreizehn gottverdammte Tage in diesem gottverdammten Bus«, sagte die Frau. »Man braucht doch keine beschissenen dreizehn Tage von Beau mont, Texas, bis nach wo-zum-Teufel-auch-immer-wir-hier-sind, New York. Wir sind doch in New York, oder?«
»Sundown«, erwiderte Gail.
»Sundown«, wiederholte die Frau. »Was für ein verkackter Scheißort ist denn das?«
Gail lächelte in sich hinein. Die Frau sprach tatsächlich mit Südstaatenakzent. Sie stammte definitiv aus Texas oder irgendwo aus der Nähe. Dann war es ruhig. Gail hörte, wie ihre neue Zellengenossin versuchte, ruhig zu atmen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie darauf gekommen war, sich einzubilden, dass sie die Zelle länger als einen oder zwei Tage für sich haben würde. So war es nun mal. Das Gefängnis war zum Bersten gefüllt.
Schweigen. Dann wälzte sich die Frau herum und versuchte, es sich bequem zu machen.
»Diesel-Therapie«, sagte Gail.
»Hä?«
»So nennen sie es. Dich tagelang auf der Straße herumzukutschieren und sich alle Zeit der Welt zu lassen. Irgendjemandes tolle Idee, um sicherzustellen, dass du die Regeln einhältst, wenn du ankommst.«
»Scheißperverse«, fluchte die Frau.
Gail konnte sich nicht erinnern, wie vie le Zellengenossinnen sie schon gehabt hatte, aber sie hatte keine Lust auf einen
Mitternachtsplausch mit der Neuen. Die anderen kamen und gingen. Sie hingegen blieb.
Von irgendwo ganz hinten im Zellentrakt hörte sie Gelächter. Kein fröhliches Gelächter. Sie rollte sich herum zur Wand und hoffte, dass die junge Frau auf der Pritsche über ihr kapiert hatte, dass das Plauderstündchen vorbei war.
Das Gelächter am Ende des Trakts flackerte noch einmal auf und hallte durch die Stille, dann erstarb es. Die Neue räusperte sich, und Gail wartete, doch nichts geschah. Sie schloss die Augen. Wartete darauf einzuschlafen. Die Minuten verstrichen. Sie hasste es, wenn ihr das Verstreichen der Minuten bewusst wurde. Der Sekunden. Der Zeit.
»Ach übrigens«, bemerkte die Frau, »ich heiße Diane.«
Gail antwortete nicht.
Diane lag auf ihrer Pritsche, erst auf dem Bauch, dann zusammengerollt auf der Seite. Die Matratze war derart hart, dass sie sich anfühlte, als ob ein paar Lagen Papierhandtücher auf das Stahlgestell gelegt worden wären. Das Kissen roch
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