Gehetzt - Thriller
zugleich.
»Ich habe gehört, dass ich mit der Urinprobe dran bin. Heute. Wenn ich ihnen meinen eigenen gebe, bin ich übel dran. Ich habe Marihuana in mir. Habe mir gestern einen Joint reingezogen.« Sie hielt Gail einen Pappbecher hin und zog flehend die Augenbrauen hoch. »Bitte.«
Gail stand da und starrte den Pappbecher an. Dann zuckte sie mit den Schultern, nahm den Becher und ging damit zu dem Klo aus rostfreiem Stahl im hinteren Bereich der Zelle. Diane nahm sich eine Zeitschrift; Lisa sah den Trakt hinunter, um Gail wenigstens den Anflug von Privatsphäre zu geben.
Kurz darauf hielt Gail Lisa den Becher hin.
»Das ist alles?« Lisa starrte den Becher an. Er enthielt nicht einmal einen Milliliter Urin.
»Ich habe gleich nach dem Aufstehen gepinkelt«, stellte Gail klar. »Gibt es keine andere, die du fragen kannst?«
»Keine, der ich vertraue.« Lisa sah aus, als ob sie jeden Moment in Tränen ausbräche.
Diane rutschte von ihrer Pritsche herunter. »Ich kann es machen.« Gail und Lisa sahen sie an.
»Würdest du das tun?«, flehte Lisa.
Gails Blick sagte alles.
Diane nahm den Becher und zog sich auf die Toilette zurück. Das war ja noch schlimmer als ein Termin beim Gynäkologen, wo weiß Gott genug Druck auf einem lastete, um ausreichend Urin für die Analysen zu produzieren. Eine Urinprobe, dachte sie. Hoffentlich bestehe ich.
Als sie Lisa den Becher zurückreichte, spürte sie ein merkwürdiges Gefühl von Stolz. Gleichzeitig hatte sie jedoch das Gefühl, nicht ganz richtig im Kopf zu sein.
»Danke, vielen, vielen Dank.« Lisa wandte sich um, um zu gehen, hielt jedoch inne. »Bist du sicher, dass er …«
»Könnte von Eva persönlich stammen«, grinste Diane. »Aber wie willst du … Nur - sie stehen doch da rum und gucken zu?«
Lisa zog einen Chirurgenhandschuh aus der Tasche ihrer Khakihose und ließ ihn vor Dianes Nase baumeln.
»Den fülle ich mit deinem Pipi«, erklärte sie, »und knote ihn zu. Dann schiebe ich ihn in meine Körperöffnung. Und wenn ich in den Pinkelraum für die Urinprobe gehe, habe ich eine Sicherheitsnadel dabei.« Lisa ging zurück über den Gang in ihre Zelle.
»Viel Glück!«, rief Gail ihr hinterher. Dann wandte sie sich Diane zu. »Das war echt nett«, sagte sie und nickte anerkennend. »Bis später.«
Und das war’s. Damit war Diane entlassen und konnte wieder sehen, wie sie allein zurechtkam. Gail würde im Kreise ihrer altbekannten Freundinnen beim Frühstück sitzen, lachen, Witze erzählen oder teilnahmsvoll dem Be richt von irgendjemandes jüngstem Kummer lauschen, während Diane sich an einem der Tische niederlassen würde, an dem die Üb riggebliebenen saßen. An manchen Tagen zog sie es vor, in der Küche zu arbeiten, um sich alldem einen Tag lang zu entziehen. Sie war nicht mehr im Geschirrraum, sondern hatte sich zu den Warmhaltetheken vorgearbeitet, wo sie große Löffel angeblichen Essens auf in mehrere Fächer unterteilte Styroporteller klatschte. Wenn sie arbeitete, musste sie sich wenigstens keine Gedanken darüber machen, an welchem Tisch im Esssaal sie landen würde.
KAPITEL 7
Gail hörte Schlüssel klirren. Sie blickte den Korridor hinunter und sah Johnson. Er lehnte lässig in der Tür wie ein Gangster. Johnson konnte sich aufplustern, ohne einen Muskel zu bewegen.
»Was fehlt denn noch?«, rief er ihr zu.
»Hier noch wischen und anschließend alles bohnern«, antwortete Gail.
»Mach zu! Dieser Scheiß muss sich ja wohl nicht den ganzen Abend hinziehen.«
»Ja, Mistah Johnson, zu Befehl, Sir!«, antwortete Gail. Er entließ sie mit einer abfälligen Handbewegung und schlenderte den Flur hinunter.
Norton hatte es nicht geschafft, auch nur eine Einzige von ihnen zur Arbeit im Klärwerk verdonnern zu lassen, obwohl Gail sicher war, dass er es versucht hatte. Hillary war in die Krankenstation versetzt worden. Sie kehrte jeden Abend mit der Überzeugung in ihre Zelle zurück, dass sie sich mit was auch immer für einem Virus infiziert hatte, der gerade im Gefängnis umging und sich unter den Häftlingen verbreitete. Doch es war nie so schlimm, dass sie auch nur Fieber bekommen hätte. Lisa hatte Bibliotheksdienst bekommen.
Gail hatten sie richtig drangekriegt, dachten sie zumindest. Ihr neuer Job bestand darin, Flur A zu reini gen. Obwohl es als ein ziemlich blöder Job galt, meilenweit unterhalb der Landschaftsgärtnerei, war der Bodenreinigungsdienst gar nicht so schlecht, zumindest sah Gail es so. Die Aufseher
hockten unten im
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