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Gehetzt - Thriller

Titel: Gehetzt - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wozencraft Baerbel Arnold Velten Arnold
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der Woche noch einmal achthundert Meter drauf und steigerte sich so bis freitags zu einem Fünftausendsechshundert-Meter-Lauf. Samstags machte sie Pause. An Samstagen bevölkerten Amateure den Hof und die Laufbahn. Samstagabends spielte Gail mit fünf anderen Frauen Karten, darunter Lisa, Hillary und Rhonda das Wiesel. Seit das Wiesel es mit Johnson trieb, hatte es einige Spannungen gegeben, aber die Frauen waren übereingekommen, über Rhondas absolute Geschmacksverirrung hinwegzusehen, solange sie am Kartentisch saßen. Bei gutem Wetter spielten sie an einem der über das Innenfeld des Hofes verstreuten hölzernen Picknicktische, von denen aus sie den Beginn einiger wirklich spektakulärer Sonnenuntergänge
sehen konnten. Doch sobald die Sonne am Horizont stand, riefen die Aufseher »Freigang beendet, die Damen, Abmarsch! Zurück in die Blöcke! Der Hof ist geschlossen! Der Hof ist geschlossen!« Man konnte genau erkennen, welchen Aufsehern es regelrecht Freude bereitete, auch dieses bisschen Freiheit und Vergnügen zu beenden, das die Häftlinge genossen. In ihren Stimmen schwang eine Art Entzücken mit, wenn sie mit ihren Funkgeräten in der Hand umherstolzierten und brüllten.
    Gail wunderte sich über die Mentalität dieser Kreaturen, der Aufseher, der Wärter, die sich so loyal gebärdeten wie Angehörige einer Armee. Wenn der Gefängnisdirektor eines schönen Nachmittags den Befehl erteilen sollte, dass die Häftlinge an der Wand des Hand ballplatzes aufzustellen und mit Gewehren zu exekutieren seien - wie viele dieser Staatsbediensteten würden sich wohl an dem Massaker beteiligen? Und anschließend nach Hause gehen zu ih ren Familien oder Freunden oder Freundinnen oder in ihre einsamen Mietwohnungen mit verstaubten Couchtischen, sich ein kaltes Bier aufmachen und es sich vor der Glotze herunterkippen?
    Gail lief. Bevor sie ins Gefängnis gekommen war, hatte sie nie besonders viel Sport getrieben. Sie war schlank und konnte essen, ohne die Kalorien zählen zu müssen. Genau genommen hatte ihr Problem im Lau fe der Jahre eher darin bestanden, genug Kalorien aufzunehmen, um ihr Gewicht zu halten. Es gab Zeiten, da war sie wirklich dünn geworden. Extrem dünn. Und es stimmte nicht, dass man gar nicht dünn genug sein konnte. Man konnte zu dünn sein. Man konnte zum Skelett abmagern, ohne es überhaupt darauf anzulegen, vorausgesetzt, man war psychisch ausreichend durch den Wind. Gail war in ih rem Leben erst ein mal durch ein derart niederschmetterndes psychisches Tief gegangen, dass sie vor Kummer nichts mehr hat te essen können. Oklahoma. Der Gitarrenspieler.
Das Baby, das sie nicht bekommen hatte. Ihre Zukunft als Familie, die aufgrund seiner Furcht vor was auch immer den Bach runtergegangen war. Als sie aus Dallas und aus der Klinik zurückgekehrt war, hatte sie zwei Monate von Wasser und Kräckern gelebt. Wenn sie sie überhaupt herunterbekommen hatte. Sie hatte sterben wollen und versucht, sich zu Tode zu hungern, nur dass sie es als Abspecken überflüssiger Pfunde bezeichnet hatte. Gail hatte zugesehen, wie ihre Konfektionsgröße von achtunddreißig auf sechsunddreißig auf vierunddreißig auf zweiunddreißig geschrumpft war. Monate später, als ihre Freundin Oshi sie dazu gebracht hatte, wieder zu sich zu kommen, hatte sie einen kleinen schwarzen Rock aus ihrem Schrank genommen. Er hatte etwa die Größe eines Taschentuchs gehabt. Sie und Oshi hatten darüber gelacht. Was hätten sie auch sonst tun sollen? Es hatte nur die se eine Episode gegeben, und obwohl der Gefängnisfraß ohne Weiteres dazu angetan gewesen wäre, ihr die Lust am Essen zu verleiden, hatte sie es geschafft, sich ihren Appetit zu bewahren. Mehr oder weniger.
    Die Sonne stand schon tief, direkt über dem dreilagigen Nato-Draht, der auf dem Sicherheitszaun um den großen Hof auflag. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Aufseher den Freigang beendeten und den Hof räumten. Am fernen Himmel hingen ein paar Wolkenfetzen, deren Unterseiten pink und orange erstrahlten, während sie sich oben blaugrau verfärbt hatten. Gail wollte nicht zurück in die Zelle. Es war ein schöner Abend.
    Sie absolvierte die letzte Runde ihrer zweitausendvierhundert Meter, ganz ins Laufen vertieft, und stellte sich vor, sie liefe außerhalb des Zauns durch die Wälder, als sie hinter sich Schritte hörte. Jemand lief hinter ihr, war ihr auf den Fersen. Gail legte einen Zahn zu. Die Schritte hinter ihr wurden ebenfalls schneller. Sie drosselte das

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