Gehetzt - Thriller
einem kurzen, flüchtigen Lächeln bedacht. »Um ehrlich zu sein«, hatte er gesagt, »ich bin stolz auf dich, dass du für deine Überzeugungen eintrittst.« Er hatte zu ihr hinübergelangt und ihre Hand gedrückt, und ein Gefühl von Hochstimmung hatte sie durchströmt. In diesem Moment hatte sie sich gewünscht, sie könnte ihm näher sein, doch es war ihr erschienen, als gehörten ihre Eltern einer anderen Spezies an, mit der wirk liche Kommunikation ausgeschlossen war. Vielleicht lag es an all den Jahren, in denen Gail ständig missbilligende Blicke und zusammengekniffene Lippen geerntet hatte, wenn sie sich falsch gekleidet oder falsch frisiert oder nicht in den richtigen Schulvereinen mitgemacht oder sich mit den falschen Freunden abgegeben hatte. »Meine Tochter ist eine Radikale«, hatte ihr Vater beim Mittagessen gesagt, wenn Gail etwas hatte sagen wollen. »Meine Tochter, die Kommunistin! Was ist falsch daran, wie es ist? Wir können uns glücklich schätzen, hier zu leben, in diesen Zeiten. Du weißt gar nicht, wie gut du es hast.«
Normalerweise hatte sie sich dann in ihr Zimmer zurückgezogen, Joni Mitchell gehört oder Bob Dylans Blood on the Tracks, Ho ward Zinns Eine Geschichte des amerikanischen
Volkes gelesen oder Ginsberg oder Plath oder Sexton, während Colette zusammengerollt auf dem hellblauen Teppich gelegen hatte, neben der hellblauen Tagesdecke auf Gails Bett. Sie hatte es längst aufgegeben, mit ihrer Mutter über Fragen der Zimmereinrichtung zu streiten und ihre angeblich so verwerflichen Poster von Che Guevara und John Lennon mit in die Uni genommen. Schließlich war sie zu dieser Zeit sowieso nur noch an den Wochenenden zu Hause gewesen. Und nach dem Tod von Colette war sie auch an den Wochenenden immer seltener gekommen.
Gail rollte den Eimer mit schmutzigem Wischwasser zur Toilette, wuchtete ihn hoch zum Waschbecken und kippte ihn aus. Dann wusch sie den Wischmopp aus und hängte ihn an den Wandhaken, an den er gehörte. Anschließend holte sie die Bohnermaschine heraus. Sie war ein riesiges verchromtes Monstrum, unglaublich schwer, bis man das lange, schmutzig-orange Netzkabel eingesteckt hatte und mit dem Daumen den Knopf am Griff drückte, woraufhin die Maschine einen, wenn man nicht vorbereitet war, den Flur hinunterschleifen und durchschütteln würde wie zum Trocknen aufgehängte Wäsche an einem stürmischen Tag. Diese Erfahrung hatte sie vor gut sech zehn Jahren gemacht, als sie zum ersten Mal zum Putzen verdonnert worden war. Ihr Vergehen war der Besitz von Thunfisch gewesen. Damals hatte sie noch Dinge gegessen, die Augen hatten. Sie hatte drei Dosen von dem Zeug gekauft und die anderthalb Dollar in Vierteldollarmünzen bezahlt, die einzigen Geldstücke, die Häftlinge haben durften. Und zwar höchstens im Wert von zehn Dollar. Irgendjemand, der in der Küche gearbeitet hatte, hatte das Zeug herausgeschmuggelt und auf dem Gefängnis-Schwarzmarkt einen Riesenriss gemacht. Gail war die ein zige Gefangene gewesen, die erwischt worden war. Sie hatte vermutet, dass es eine Probe gewesen war. Wenn es eine gewesen war,
hatte sie sie bestanden. Als der Lieutenant versucht hatte, sie auszuquetschen, woher sie die Schmuggelware hatte, hatte sie eisern geschwiegen.
Gail nahm ein quadratisches grünes Wolltuch, breitete es auf dem Fußboden aus, setzte das mit Stahlwolle gepolsterte Unterteil der Bohnermaschine darauf, nahm den Stiel fest in die Hände und drückte auf den Einschaltknopf. Die Bohnermaschine von einer Seite zur anderen dirigierend, arbeitete sie sich langsam den Flur vor. Dabei lauschte sie dem mechanischen Summen der Maschine und sah zu, wie der Linoleumboden ei nen frischen Glanz an nahm. Die Hand habung der Bohnermaschine erforderte einige Kraft, und Gail sah es als eine gute Gelegenheit, ihre Oberkörpermuskeln zu trainieren. Aus dieser Sicht hatte sie nichts gegen den Reinigungsjob einzuwenden, und da es ihr nichts ausmachte, war es auch keine Bestrafung. Sie hatte ihnen wieder mal ein Schnippchen geschlagen. Und wenn Johnson wollte, dass sie sich beeilte, würde sie sich verdammt noch mal erst recht Zeit lassen.
Sie hatte etwa den hal ben Flur fertig und war nicht mehr ganz bei der Sache, weil sie darüber brütete, wie sie ih ren Bewährungsantrag doch noch durchkriegen konnte. Sie würde weitere Empfehlungsschreiben brauchen. Sie würde Mel bitten müssen, schwere Geschütze aufzufahren. Sie brauch te Unterstützung von Politikern, von so vielen wie nur irgend
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