Gehetzt - Thriller
ersten Mal in ihrem Leben einen Nadelstreifenanzug berührte. Er fühlte sich irgendwie ein bisschen kratzig an, aber nicht zu kratzig. Sie konnte nicht recht sagen, was sie davon halten sollte, von diesem Mann umarmt zu werden, den sie erst vorgestern kennengelernt hatte. Sie wusste nicht, ob er einfach nur höflich war und sie umarmte, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlte, oder ob er sie irgendwie mochte oder respektierte, weil sie Gail geholfen hatte zu fliehen.
»Wenn es schiefgehen sollte«, sagte Mel, seine Lippen ganz nah an ihrem Ohr, über den Lärm der Lokomotive hinweg, deren Motor soeben angelassen worden war, »wenn es schiefgehen sollte, tun Sie das Richtige. Gail hat genug gelitten. Wenn Sie zurückgehen, nehmen Sie sie nicht mit.« Er trat zurück, hielt ihre Schultern und sah ihr fest in die Augen. In seinem Blick lag keine Drohung. Nichts Bittendes. Der Blick drückte einfach nur das aus, von dem er wusste, dass es das Richtige war. Diane nickte und überlegte, wie sie ihm erklären sollte, dass Gail und sie jetzt Partner waren. Sie waren auf die gleiche Weise Partner wie Polizisten Partner waren. Auf Leben und Tod. Das Band war in dem Moment geschmiedet worden, als sie den Stacheldraht überwunden hatten.
Sie brachte ihren Mund nah an Mels Ohr und sag te: »Ich gehe nicht zurück.«
Als sie sich von der Treppe zum Zug hinauf ein letztes Mal umdrehte, sah Mel ihr nach. Er hatte die Lippen zu einer grimmigen Linie zusammengepresst. Sie wandte sich um, betrat den Wagen und wunderte sich, dass sie ihn respektierte. Wenn sie sich unter anderen Umständen begegnet wären, vor ihrem Martyrium, und sie hätte ihn bei dem ertappt, was er für Gail und sie getan hatte, hätte sie ihn verhaftet. Doch jetzt
stand alles auf dem Kopf. Sie wusste nicht mehr, wo links war und wo rechts, oder wo oben war und wo unten. Sie wusste überhaupt nichts mehr.
Im Zug schloss Gail hinter ihnen die Tür des Schlafwagenabteils und ließ den Griff ih res grünen Trolleys los. Ein Koffer mit Rädern und einem großen Plastikgriff. Einige Dinge hier draußen waren während der Jahre, die sie eingesperrt gewesen war, wirklich praktischer geworden. Gail lehnte sich gegen die Tür und seufzte tief. Dann sah sie sich um.
»Schon wieder so ein unerträglich kleiner Raum«, stellte sie fest. »Wann kriege ich endlich etwas Platz?«
»Wenn wir in Texas sind«, erwiderte Diane. »Texas ist berühmt für seine Weite.« Die Wände schienen aus beigefarbenem Plastik zu sein. Sie klopfte dagegen. Sie hatte richtig vermutet.
Gail runzelte mit ernstem Blick die Stirn. »Auf unseren Tickets steht Chicago. Das ist unser Ziel.«
»Stimmt, und wenn wir in Chicago sind, steigen wir aus, treffen uns mit deinen Freunden, verschaffen uns neue Identitäten, und dann kaufen wir uns Fahrkarten nach Texas.«
»Diane!«
»Ich fahre auf jeden Fall nach Texas.«
»Lass uns erst mal zusehen, dass wir aus New York rauskommen.«
»Superidee.«
»Wenn du allen Ernstes nach Texas zurückwillst, kann es nur daran liegen, dass du den perversen Wunsch hast, entweder umgebracht oder ge schnappt zu werden und zurück in den Knast zu wandern. Welcher von beiden ist es?«
Diane setzte sich auf das kleine Sofa und schob die Jalousie vor dem großen Panoramafenster zu ihrer Rechten hoch. Neben ihnen stand ein anderer Zug. Sie zog die Ja lousie wieder runter.
»Tut mir leid wegen eben«, sagte sie leise.
Gail sah sie verwirrt an.
»Ich hätte es um ein Haar vermasselt«, fuhr Diane fort. »Diese Bullen. Ich war drauf und dran, die Nerven zu verlieren.«
»Ich dachte schon, du wolltest sie einladen, uns zu begleiten.« Gail lachte leise, dann sah sie, wie peinlich Diane die Sache war, und hörte auf. »Mach dir keine Sorgen deshalb.«
»Ich mache mir sehr wohl Sorgen. Es war total unbeherrscht. Ich muss mich unbedingt besser zusammenreißen.«
»Denk einfach, dass alles normal ist. Wir sind ganz normale Reisende, wie alle anderen in diesem Zug auch. Mehr nicht. Verhalte dich einfach ganz normal.«
»Ich habe das komische Gefühl, dass normal für dich etwas anderes bedeutet als für mich.«
»Wir sollten uns jetzt einfach ausruhen. Und wenn wir erst mal aus dem Bahnhof und in Bewegung sind, wird es bestimmt besser.«
»Was mir Sorge bereitet, ist, dass da draußen Cops herumlungern, die auf Empfang gestellt sind. Wenn einer von uns beiden eine falsche Schwingung aus sendet, fahren ihre Antennen aus, und im nächsten Moment haben wir
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