Gehirnwaesche - Die Aasgeier - Streit bis aufs Blut
Nichts stand. Innerhalb von Sekunden hatte der heulende Sturm die Spuren der anderen verweht. Chavasse trieb sein Pferd an, aber von der Spur war nichts mehr zu erkennen.
Stunden schienen zu verstreichen. Er ritt blindlings drauflos und verließ sich auf den Instinkt des Tieres. Der Wind pfiff ihm um den Kopf und biß ins Gesicht, bis die Haut so gefühl los geworden war, daß er keinen Schmerz mehr spürte.
Als sein Pferd anhielt, hob er den Kopf. Genau vor ihm erhob sich der einzelne Felsen, an dem er vor mindestens einer Stunde vorbeigekommen war. Er war im Kreis geritten.
Er duckte sich vor einem wütenden Windstoß und entdeckte im Schnee plötzlich frische Abdrücke. Eilig trieb er sein abgekämpftes Pferd an und folgte den Spuren.
Der Wind war stärker geworden. Schnee und Eis bedeckten sein Gesicht mit einer dicken Schicht, aber er ließ keinen Blick von den Spuren. Nach kurzer Zeit entdeckte er im Schnee einen Fellhandschuh.
Die Kälte schien auf sein Gehirn eingewirkt zu haben. Sein Verstand arbeitete nur noch mit halber Kraft. Er betrachtete die eigenen Hände – an beiden steckten Handschuhe. Wem konnte also dieser einzelne Handschuh gehören?
Ein Stück weiter fand er eine chinesische Militärmütze aus Pelz. Er stieg ab, hob sie auf und betrachtete sie verständnislos. Da tauchte plötzlich eine Gestalt aus dem wirbelnden Halb dunkel auf und fiel stolpernd gegen ihn.
Undeutlich erkannte Chavasse so etwas wie eine gefrorene weiße Maske. Dann blickte er auf die Hand, die auf seiner Schulter ruhte. Sie war bloß und erfroren.
Er hob seine Hand und wischte den Schnee von dem Gesicht des anderen. Er starrte in die leeren, ausdruckslosen Augen von Oberst Li.
Eine ganze Weile stand er regungslos da und blickte ihm ins Gesicht, dann zog er den Handschuh aus und griff in die rechte Manteltasche. Er zog den Revolver heraus, den er Hauptmann Tsen abgenommen hatte, preßte ihn gegen Lis Brust und legte schon den Zeigefinger um den Drücker.
Plötzlich steckte er die Waffe wieder ein und zog den Hand schuh an. Warum bring ich dich nicht um, du Schweinehund? Warum bring ich dich nicht einfach um? Es gab keine Antwort auf diese Frage. Jedenfalls keine, die halbwegs sinnvoll gewe sen wäre. Oberst Li leistete nicht den geringsten Widerstand, als er ihn zum Pferd schleppte und mühsam in den Sattel hob.
Es war falsch gewesen, sich so anzustrengen. Er hatte die dafür nötigen Kraftreserven nicht mehr. Keuchend lehnte er sich an das Pferd, den einen Arm um die Schulter seines Feindes. Sein Gesicht fühlte sich tot und kalt an, alles wich vor ihm in eine unendliche Ferne zurück. Er spürte, wie ihn schnell die letzte Kraft verließ.
Aber tief in seiner Brust brannte noch eine kleine, heiße Flamme, ein Rest von Lebenswillen, der sich gegen die Selbst aufgabe aufbäumte. Er holte tief Luft und riß sich zu einer letzten Anstrengung zusammen. Dann hing Li mit dem Kopf nach unten quer über dem Sattel.
Chavasse zog sich selbst auf den Pferderücken hinauf und trieb den Gaul an. Da tauchte Osman Sherif aus dem Schnee treiben auf.
16
Die Hütte war niedrig und aus groben Steinblöcken errichtet. Draußen heulte der Sturm und häufte hohe Schneewehen an den Mauern auf. Eigentlich war es mehr ein Stall, denn die Tiere nahmen über die Hälfte des vorhandenen Raums ein. Benommen saß Chavasse in einer Ecke und trank siedendhei ßen Tee, während sein Pelzmantel in der Wärme dampfte.
Auf der anderen Seite des Feuers schlief Katja zwischen den beiden Kindern den Schlaf der Erschöpfung. Die Mutter hockte am Feuer und wartete geduldig, bis ein neuer Topf voll Wasser kochte.
In der Ecke gegenüber dem Eingang flackerte eine Öllampe in einer Nische. In ihrem trüben Lichtschein bemühten sich Hoffner und Osman Sherif um Oberst Li. Er stöhnte mehrmals, und Hoffner redete beruhigend auf ihn ein. Einmal bäumte er sich krampfhaft auf. Der Khazakenhäuptling mußte ihn mit Gewalt zurückdrücken.
»Wie geht’s ihm?« fragte Chavasse.
Hoffner seufzte. »Ich mußte drei Finger seiner linken Hand amputieren. Ein ziemlicher Eingriff, aber immer noch besser als Wundbrand. Gut, daß Osman Sherif Sie rechtzeitig gefun
den hat.«
Der Wind heulte ohrenbetäubend durch den mächtigen Ein schnitt des nahen Passes. Chavasse schüttelte sich unwill kürlich. »In einer solchen Nacht hätten wir es im Freien nicht lange ausgehalten. Er hat Mut; es gehört schon eine
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